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Exkurs: Zwischen den Welten (III)

In den beiden letzten Journalen hatten wir gesehen, wie weit ein klassisches fotografisches Makro-Objektiv oder auch ein Balgengerät mit speziellem Lupenobjektiv in die Bärtierchenwelt hineinreichen.

Der sich nun logisch anschließende, nächste Schritt in die Welt des "richtigen" Mikroskops scheint vielen Menschen jedoch zunächst sehr schwer zu fallen. Vielleicht liegt es einfach daran, daß uns heutzutage die meisten Informationen ohne jegliches Zutun bequem auf Bildschirmen erreichen? Wer allerdings auch nur einmal erfolgreich durch ein gutes, klassisches Lichtmikroskop geschaut hat, wird am Fernseher vermehrt störende Kompressionsartefakte und einzelne Pixel wahrnehmen. Auch das vermeintlich moderne LED-Mikroskop wird im direkten Vergleich als das entlarvt, was es nun mal leider ist: ein Multimedia-Spielzeug.

Es kann allerdings reichlich Zeit und Lehrgeld kosten, bis das richtige Mikroskop gefunden ist und beherrscht wird. Aber, ein Klavier ist definitiv schwieriger zu bedienen - wir sprechen da aus leidiger Erfahrung.

Im Übrigen haben es Mikroskopkäufer heute so einfach wie nie: Den vergleichsweise wenigen Amateuren steht ein wirklich reichhaltiges und preiswertes Angebot an Neu- und Gebrauchtgeräten gegenüber. Warum? Weil die meisten Hausärzte kaum noch ein Mikroskop einsetzen, weil fast alle klinischen Tests heutzutage mit anderen Gerätschaften durchgeführt werden und sicherlich auch, weil das Mikroskop in vielen Schulen de facto aus dem Lehrplan gefallen ist. Dementsprechend viele Gebrauchtmikroskope sind auf dem Markt. Als Käufer können Sie deshalb aus dem Vollen schöpfen. Menschen mit ein wenig Technikverständnis sind allerdings klar im Vorteil - nicht jedes billige Gerät bei Ebay ist auch wirklich ein Schnäppchen. Viele kleinere Probleme mit den Gebrauchtgeräten sind jedoch einfach lösbar, wenn man sich im Internet ein wenig umschaut. Manchmal reichen auch triviale Tricks, z.B. ein winziges Tröpfchen Molybdänsulfid-Schmiermittel am richtigen Ort oder ein sanft eingesetztes, nicht fusselndes Staubtuch.

Auch heute noch läßt es sich mit manchem schrulligen "Oldie" ernsthaft arbeiten. Und dieser kann durchaus mehr Jahre auf dem Buckel haben als wir selbst. Überlegen Sie in diesem Zusammenhang ruhig mal, ob beispielweise im Jahr 2050 noch jemand das heutige iPhone in die Hand nehmen, geschweige denn benutzen wird!


[ Hensoldt Mikroskop 1 ]

Ein mehr als 50 Jahre altes Hensoldt "Diacum"-Mikroskop, mit dem bei Sammlern hoch geschätzten, schwarzen Lack, der leider in den 1960er Jahren obsolet wurde.
Das flotte Design spricht für sich und vielleicht auch zu uns: "Feuer frei!".
Nein, keine Scherze mehr, dieses Mikroskop sieht wirklich klasse aus.

[ Hensoldt Mikroskop 2 ]

Detail vom selben Gerät. Besonders charakteristisch sind die zeittypischen Design-Konzepte mit ihren maximal gerundeten Formen, die sogar die Hochachse des Objektivrevolvers in eine Rundform einpassen! Man beachte auch das hochaperturige, d.h. hoch auflösende 45er Trockenobjektiv (Numerische Apertur N.A.=0,82). So etwas wird bei heutigen Fernost-Importen normalerweise nicht mitgeliefert.

[ Hensoldt Mikroskop 3 ]

Weiteres Detail: Diese - selbstverständlich metallischen - Fokussierräder sehen einfach wunderschön aus und vermitteln dem Nutzer zudem eine Aura hochpräziser Wissenschaftlichkeit. Darf man sich überhaupt noch an so ein Gerät setzen, wenn man keinen schneeweißen, frisch gestärkten Laborkittel besitzt?

Natürlich hat ein zu alter Oldie auch seine Besonderheiten, manchmal Macken. Im Falle des oben gezeigten Hensoldt-Mikroskopes könnte man zum Beispiel bemängeln, daß ein runder Objekttisch eigentlich auch drehbar sein sollte - ist er aber nicht, ledig chic und rund, nicht drehbar. Die Fokussierung läuft trotz - oder vielleicht gerade wegen - der geradezu erschreckend einfachen, jedoch handwerklich sauber ausgeführten Innenkonstruktion auch heute noch absolut geschmeidig. Wirklich erstaunlich, wenn man bedenkt, daß die Objekttischbewegung durch viele kleine, lose Kugeln vermittelt wird, die lediglich durch ausgesprochen dünne, zylindrische Stahldrahtschienen in den vorgesehenen Bewegungsbahnen gehalten werden!

Wer weniger Restaurierungsrisiken eingehen möchte, greift zu Mikroskopen, die etwas neuer sind, jedoch nicht unbedingt viel neuer - zum Beispiel 10 Jahre neuer. Das ultrasolide Hertel & Reuss "CN-hF" aus den 1970er Jahren beispielsweise schmückt sich mit dem angeblich weniger sammelwürdigen Hammerschlaglack - zur Herstellungszeit hieß es: "moderner Strukturlack". Es steht auf dem Tisch so stabil wie ein Fels. Und alles, was bei den mattschwarzen Mikroskopen noch ein wenig provisorisch wirkt, erscheint hier perfekt durchkonstruiert. Keine Kompromisse, keine Maßtoleranzen, kein Wackeln, kein Tischzittern, keine sich lösenden Schrauben. Die Laufbahnen der Objekttisch-Höhenverstellungsschienen werden von geradezu gnadenlos präzise eingepaßten Kugellagerkäfigen sehr wirkungsvoll unterstützt. Der Aufwand hat sich gelohnt: Beim Fokussieren bewegt sich wirklich nur die Schärfentiefenebene in z-Richtung, sonst nichts. Ein im Inneren des Stativs verstecktes, riesiges Schneckenrad überträgt die Drehung der Fokusräder sanft und ohne jegliches Spiel auf die sehr massive, breite Tischführung - für die Lehrlinge bei Hertel & Reuss dürfte die Ausbildung dementsprechend hart, aber ergiebig gewesen sein. Und, fast nebenbei, verfügt das CN-hF über eine optische Ausrüstung, deren Abbildungsleistung so manchen modernen "Semiplan-Achromaten" locker ins Abseits rückt. Auch harmonieren die Objektive sehr gut mit neuzeitlichen Weitwinkelokularen, so dass der Betrachtungskomfort den heutigen, stark veränderten Ansprüchen und Betrachtungsgewohnheiten gerecht werden kann.


[ Hertel&Reuss Mikroskop CN-hF-BINfo-VK-ZT, um 1970 ]

Hertel & Reuss Mikroskop, Serien-Nr. 93380, Baujahr um 1970. Binokular, mit Fototubus (okay: trinokular). Niedervoltbeleuchtung mit Trafo und einer, auch heute noch respektablen Leistung von 35 Watt. Gemäß der herstellungszeitlichen  Hertel & Reuss-Nomenklatur handelt es sich um ein "CN-hF-BINfo-VK-ZT" (zu dechiffrieren als: Modellreihe Cneu/Hoher Fuß/Binokularer Einblick samt Fototubus/Viereckiger Kreuztisch/Kondensorverstellung mit Zahn und Trieb). Der Listenpreis einer vergleichbar ausgestatteten CN-hF-Version belief sich im Jahr 1974 auf immerhin DM 1658.-- (netto), was kaufkraftbereinigt einem heutigen Preis von rund € 2000.-- entsprechen dürfte. Das hier abgebildete Gerät wurde 2015 bei Ebay erworben und war geradezu unanständig billig. Wir sagen hier bewußt nicht wie billig, damit kein Neid aufkommt. Jedenfalls hatte der Vorbesitzer offensichtlich keine große Lust zum Putzen und anscheinend auch nicht die geringste Absicht, sein Juwel verbal ausreichend zu beschreiben geschweige denn in fotografisch sanftes Licht zu rücken.

[ Hertel&Reuss Mikroskop, um 1970, Detail ]

Detail vom selben Gerät. Das Tubusdesign erinnert durchaus an grandiose Architektur oder moderne Skulptur: einander durchdringende, geometrisch rein anmutende Raumkörper, scheinbar mühelos in irdische Materialien übersetzt. Vielleicht ist ja auch der Hammerschlaglack gar nicht so häßlich, wie gemeinhin angenommen wird?

[ Hertel&Reuss Mikroskop, um 1970, Detail ]

Nicht nur der Teufel sitzt im Detail - es kann auch die Schönheit eines winzigen, eingravierten Firmen-Logos sein!

[ Hertel&Reuss Mikroskop, um 1970, Detail ]

Die Fokusräder aus einer speziellen Aluminium-Gusslegierung werden bald 50 Jahre alt - man sieht es ihnen nicht an.

[ Hertel&Reuss Mikroskop, um 1970, Detail ]

Wir sollten dieses Mikroskop allerdings nicht nur anstarren, sondern auch benutzen!

So, und die Botschaft wäre? Es ist im Grunde genommen fast egal, mit welcher Mikroskopmarke Sie arbeiten. Es kann ein Mikroskop einer bekannten Nobelmarke, aber auch ein Gerät eines seit langem nicht mehr existierenden Herstellers sein. Das folgende Foto zeigt einen kleinen Ausschnitt aus unserem bewährten Bärtierchen-Szenario, wie Sie es mit fast jedem beliebigen soliden Mikroskop aufnehmen können: 10er Objektiv, improvisiertes Auflicht mit einer IKEA Jansjö LED-Lampe. Ein aufgeschnittener Tischtennisball oder ein weißer Joghurtbecher soften das Licht und ein Stacking-Programm baut zu guter Letzt das Bild zusammen:


[ Bärtierchen-"Tönnchen, Aufnahme mit dem Mikroskop ]

Bärtierchen-"Tönnchen", Aufnahme mit dem Mikroskop. Das größere Tönnchen ist 0,15 mm lang.

Auch wenn das Stacking-Ergebnis hier vielleicht nicht bis ins letzte Detail überzeugt, kann kein Zweifel bestehen, daß das Mikroskop uns im Vergleich zum Makroobjektiv eine neue Welt erschließt, besonders wenn wir bedenken, daß das 10er Objektiv ja eher ein "kleines" Objektiv ist, das häufig nur genommen wird, um das jeweilige Präparat durchzumustern.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach