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Bärtierchen, Gelbe-Rüben-Carotin und das DIY-Raman-Spektrometer (III)

Vorsicht, ab hier wird es ernst, bitter ernst. Sie können jedoch durchaus noch innehalten, umkehren und beispielsweise Ihren Fernseher einschalten. Dort locken rund um die Uhr emotionale Pralinés wie der wunderbar konstant gehaltene, dezente Sadismus in den klassischen Casting-Shows. Auch das sanfte Gruseln angesichts des schmuddeligen Provinzmilieus in einem "Tatort"-Film ist nicht zu verachten und zudem geeignet, Sie auf dem Sofa wachzuhalten, bevor schließlich die Wirkung der zweiten Volksdroge einsetzt. Und nein, das Fernsehen kann nicht so mies sein, wie Sie jetzt womöglich argwöhnen - überlegen Sie einfach mal, welch traumhafte Einschaltquoten dort erzielt werden!

Wie versprochen entwerfen und bauen wir Übriggebliebenen hier nach und nach ein funktionierendes Raman-Spektrometermikroskop.

Für das Raman-Projekt müssen wir zunächst ein Basismikroskop wählen. Es geht dabei nicht um die Entscheidung zwischen unterschiedlichen Herstellern, sondern um die Wertung und bewusste Auswahl technischer Qualitäten. Betrachten wir dazu den folgenden Vergleich zwischen einem Mikroskop-David und einem Mikroskop-Goliath:


[ Enuro 3755 vs. Nikon Optiphot 66 ]

Abbildung: Links ein Enuro 3755 (Baujahr etwa 1968), laut Enuro-Preisliste ein leistungsstarkes Kursmikroskop, rechts ein Nikon Optiphot 66 Universalmikroskop aus dem Jahr 1986

Zugegeben, das Enuro-Mikroskop erscheint auf der Abbildung neben dem 70 cm hohen Optiphot-Aufbau klein wie ein Spielzeug. Außer Frage steht jedoch, dass man mit dem kleinen Instrument auch heute noch ohne Weiteres die genialen Erkenntnisse eines Robert Koch mikroskopisch nachvollziehen könnte. Zu seiner Entstehungszeit war das Enuro auch keineswegs billig: Der Katalog-Basispreis im Jahr 1968 belief sich auf knallharte DM 486.--, was sich in rund 1.000 aktuelle Euro-Softies umrechnen lässt. Bildqualität und Verarbeitung des Enuro-Mikroskopes sind auch aus heutiger Sicht für praktische Belange absolut ausreichend. Dank des weitgehenden Verzichts auf die in der Werbung so herzerfrischend unschuldig angepriesenen "modernen" Kunststoffe ist auch nicht zu befürchten, dass die Benutzer später mal an etwaigen (leider in der Werbung nicht erwähnten) klebrigen Abbauprodukten genau dieser modernen Kunststoffe hängen bleiben.


[ Enuro-Anleitung, Titelblatt ]

Abbildung: Titelblatt der Bedienungsanleitung für das Enuro 3755 Kursmikroskop. Die beiden Logos oben belegen sehr schön, dass "Enuro"-Mikroskope als Produktlinie der Nürnberger Fa. Eschenbach vermarktet wurden (Enuro = Eschenbach Nuremberg Optics).

Und ja, die Welt bleibt verlässlich bizarr: Bei Ebay findet man das heute verkannte Enuro regelmäßig zu Spottpreisen um € 30 - in der gleichen Kategorie wie die vielen unbrauchbaren Spielzeug-Ramschmikroskope. Der 45° Schrägtubus des Enuro ist abnehmbar, so dass sich dort statt des Tubus ein Spektrometer-Aufsatz für das Raman ansetzen lässt.


Das Nikon Optiphot, ein großes Aufbau- oder Universalmikroskop, zu seiner Zeit das Spitzenmodell von Nikon, zielte auf die erste Generation der Computerchip-Entwickler. Damals waren die Leiterbahnen noch so groß, dass man sie mit einem Lichtmikroskop kontrollieren konnte - heute geht das nicht mehr.


[ AMD 486 DX2-66 CPU, Detail ]

Abbildung: Detail von einer AMD 486 DX2-66 CPU, mit dem Optiphot aufgenommen. Bildbreite rund ein Millimeter. Senkrechtes Auflicht. Objektiv Nikon M Plan 10x/N.A. 0,25.

Leider endet wegen der fortschreitenden Verkleinerung nun auch die Tradition der versteckten, jedoch für die Mikroskopie-Amateure leicht auslesbaren Computerchip-Botschaften:


[ AMD 486 DX2-66 CPU, Detail]

Abbildung: Detail von derselben alten AMD CPU, mit dem Optiphot aufgenommen. Aufnahmebedingungen ähnlich wie oben.

Weiß vielleicht jemand, welche geheime Nachricht die millionenfach hergestellten fünf Büffelschädel zusammen mit der Gelben Rübe vermitteln sollen? Vielleicht eine Vorschau und Anspielung auf die Sensibilität der aktuellen U.S.-amerikanischen Politik oder die prognostizierte orange Gesichtsfarbe künftiger Präsidenten?

Und überhaupt, werden Sie jetzt vielleicht denken, kommen im Bärtierchen-Journal derzeit viel zu viele Gelbe Rüben vor - einfach furchtbar.


Das Nikon Optiphot ist in Deutschland auf dem Gebrauchtmarkt leider nur selten anzutreffen. Es finden sich jedoch andere, durchaus vergleichbare Geräte wie etwa das Leitz Orthoplan.
Das hier gezeigte, professionelle Optiphot samt moderner LED-Beleuchtung hat uns ein gewerblicher Händler für € 800 verkauft, das heisst in etwa für den Gegenwert, den man früher als Amateur für ein neues Enuro hinblättern musste. Unser Optiphot ist, wie alle klassischen Universalmikroskope für Auflicht und Durchlicht ausgelegt. Man kann hierzu die LED-Lampe umstecken oder auch zwei Lampen gleichzeitig einsetzen.


[ Lichtwege im Optiphot, schematisch ]

Abbildung - die bizarren Wege des mikroskopischen Auflichts: Das LED-Licht (1) tritt in die Zylinderröhre des sogenannten Auflicht-Illuminators ein. Es passiert eine erste innere Blende (die Leuchtfeldblende), dann eine lediglich kosmetisch wirkende, fast völlig transparente Mattscheibe, sowie eine zweite Blende (die Aperturblende). Anschließend trifft es auf den halb durchlässigen Umlenkspiegel (Position im Bild türkis angedeutet). Dieser Spiegel reflektiert das Licht, durch das Mikroskoskopobjektiv hindurch, nach unten in die Objektebene (2). Das dort befindliche Objekt wiederum wirft das Licht, nun samt Bildinformation, durch das Objektiv zurück auf den teildurchlässigen Spiegel. Dieser leitet einen Anteil der Bildinformation in Richtung Betrachter (3) und in Richtung Kamera (4) weiter. Man beachte, dass das Objektiv in dieser Konstellation eine merkwürdige Doppelfunktion einnimmt: Es wirkt gleichzeitig als Lichtquelle und objektabbildendes Element!

Das kleine Enuro Mikroskop ist sehr wohl geeignet, wenn man den Raman-Effekt auf einfachstmögliche Weise im Durchlicht demonstrieren möchte. Weil der Laser dann unter dem Objekttisch fest eingebaut werden kann und das Spektroskop statt des visuellen Einblicks obenauf sitzt, besteht zudem kein ernsthaftes Risiko, dass jemand womöglich aus Versehen direkt in einen Laserstrahl blickt. Der Nachteil des Enuro liegt jedoch in seiner Leichtigkeit, Kleinheit und der daraus resultierenden, mangelnden Ausbaufähigkeit, die sich eher für Provisorien und fliegende Aufbauten eignet. Für systematische Testreihen, beispielweise mit unterschiedlichen Filtern und für eine allmähliche, schrittweise Präzisionsoptimierung ist das Ganze einfach zu wackelig und zu unflexibel.

Ein großes Universalmikroskop wie das Nikon Optiphot bietet hingegen vielfältige Optimierungs- und Modifikationsmöglichkeiten. Auflichtuntersuchungen an späteren Raman-Proben sind dank des oben skizzierten Strahlengangs quasi bereits vorgezeichnet. Und sobald man im Raman-Experiment einen bestimmten Fortschritt erreicht hat, wird einfach eine passende Schraube angezogen und der jeweils erreichte Justage-Fortschritt mittelalterlich-gewaltsam fixiert. Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, Ramanspektrometrie und Lichtmikroskopie parallel zu betreiben.

Im nächsten Journal beginnen wir mit dem Raman-Umbau des Optiphot.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach