[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]




"Size matters!" - auf dem Weg zum Locus typicus von Batillipes mirus (III)

Wie schon im letzten Journal berichtet, drohte die gut bus- und matjesgestützte Expedition nach Kiel ein Fehlschlag zu werden. Trotz eingehender Untersuchung mit Hilfe eines kleinen Stereomikroskopes hatten wir vor Ort in den nassen Sandproben keinen einzigen der erhofften Batillipes-Riesen gefunden.

Es gibt aber, und das weiß jeder Amateurmikroskopiker, gewaltige Unterschiede zwischen der forschen Exkursions-Mikroskopie und der ruhigeren, häuslichen Mikroskopie: die Geräte zuhause sind schwerer, ihre Mechanik und Optik einen Tick  besser, die elektrische Beleuchtung ein wenig  gleichmäßiger und feiner regelbar, die Sitzhaltung ein bißchen  ergonomischer. Wind und störendes Streulicht gibt es nicht. Selbst wenn wir einzelne Problemfaktoren im Freien besser in den Griff bekommen sollten, wirkt sich die Summe aller Nachteile immer ungünstig aus und die Exkursionsmikroskope gerät zur philosophisch-melancholischen Gratwanderung: "Sein oder Nichtsein - Sehen oder Nichtsehen".

Jedenfalls fand sich zuhause, zwar erst nach stundenlangem Sandmikroskopieren, aber immerhin, ein erstes Bärtierchen. Und weitere folgten.


[ Batillipes-Tardigrade von der Kieler Föhrde ]


Batillipes-Bärtierchen aus der, im letzten Journal erwähnten Probe II (Kieler Föhrde, bei Strande), auf Sandkorn kletternd. Körperlänge knapp 0,2 mm.


Wie sich bald zeigte, enthielt vor allem die genannte Probe II noch weitere Bärtierchen, immer schön bescheiden im Hintergrund, an Sandkörner angeschmiegt und bei Erschütterungen vorsichtig stillhaltend.


[ Batillipes-Tardigrade von der Kieler Föhrde ]


Batillipes-Bärtierchen aus Probe II (Kieler Föhrde, bei Strande). Der hier grau erscheinende Eierstock über dem bräunlichen, gelappten Magen-Darm-Trakt weist auf ein erwachsenes Weibchen hin. Körperlänge 0,2 mm.


Zunächst dachten wir, es sei eben eine andere, kleine Art und nicht der erhoffte Batillipes mirus. Bei moderater Vergrößerung und etwas Spiel mit der Beleuchtung zeigte sich jedoch der für Batillipes mirus charakteristische, spitze Schwanzfortsatz, den wir dann später, am Kursmikroskop besser sehen und abbilden konnten (siehe direkt folgende Abbildung in geringer Vergrößerung und vorletzte Abbildung unten mit stärkerer Vergrößerung).


[ Batillipes-Tardigrade von der Kieler Föhrde ]

Batillipes mirus, auf Sandkorn, im Auflicht.
Der weiße, asymmetrisch angeordnete Fleck, rechts am Hinterleib ist ein reifes Ei. Knapp 0,2 mm Körperlänge.



Die genauere Vermessung mit Hilfe eines Mikrometers zeigt, daß typische Batillipes mirus aus der Kieler Probe II häufig sogar deutlich unter 0,2 mm messen. Keine Wunder, daß wir mit dem kleinen Stereomikroskop vor Ort nichts gesehen haben!


[ Batillipes-Tardigrade von der Kieler Föhrde ]

Batillipes mirus,
auf Sandkorn, mit eingeblendetem Hundertstel-Millimeter-Maßstab. Das, hier nicht völlig gestreckte Bärtierchen scheint rund 130 µm lang zu sein (und dann ausgestreckt vielleicht 150 µm zu messen).



Im "richtigen" Mikroskop ist der fein konische Schwanzfortsatz, wie er nur bei Batillipes mirus vorkommt, schön klar zu erkennen, auch wenn die Live-Mikroskopie auf Sand eine photographische Herausforderung bleibt.


[ Batillipes-Tardigrade von der Kieler Föhrde ]


Hinterleib von Batillipes mirus mit dem charakteristischen Schwanzfortsatz.


Wie Sie wissen, stehen wir dem schnellen Griff zur (Formalin-)Flasche eher kritisch gegenüber. Deshalb stellt sich nun unweigerlich die Frage, wie man wohl als Landratte, fern des Ostsee-Mekkas, seine Batillipes-Wasserbären gesund am Leben erhält?

Im unten abgebildeten Meerwasser-Aquarium leben unsere Kieler Batillipes-Tardigraden nun immerhin schon volle sechs Monate. Das Aquarium besteht aus einer transparenten Kunststoffbox mit Außenmaßen von ca. 14 cm x 7 cm x 7 cm. Es war relativ einfach und preisgünstig erhältlich, im Supermarkt. Aufgrund des ursprünglichen, inzwischen biologisch abgebauten Süßwareninhalts eines bekannten Herstellers nennen wir es mal diskret "Rocharium". Eigentlich müßten wir vom Hersteller Ferrero im Hinblick auf die nun zu erwartenden, zweistelligen Umsatzsteigerungen eine fette Prämie erhalten ;-).

Die vormalige Pralinenbox wird kopfüber eingesetzt: der ursprüngliche Boden dient jetzt als großzügiger Luftraum und Verdunstungsschutz. Auf diese Weise müssen wir nur selten Wasser nachfüllen und haben keinen Ärger mit womöglich schwankendem Salzgehalt. Der vormalige Deckel wird zum eigentlichen Wasserbehälter, in dem sich eine maximal 2 mm hohe Schicht Sand mit 5 mm hoch Ostseewasser befindet. Klar, daß wir unser Aquarium an einem hellen, nicht besonnten Nordfenster, in eher kühler Umgebung aufstellen. Ein bißchen Licht für etwas Algenleben brauchen wir noch, die Bärtierchen müssen ja schließlich etwas zu fressen haben - doch dazu später mehr.

Und, die Aquarium-Unterschale können wir mit etwas Behutsamkeit als Ganzes unter dem Stereomikroskop durchmustern: so haben wir auch zuhause eine kleine Ostseefauna live am Fensterbrett und unter dem Mikroskop. Super!


[ Batillipes Aquarium ]


Das "Rocharium", preisgünstiges Spezial-Mikroskopie-Meerwasseraquarium, ohne Elektrik, ohne Pumpen, ohne Verschmutzungsprobleme durch Überfütterung - eine rundum saubere, faszinierend einfache Lösung.


Literatur

Ernst Marcus: Zur Anatomie und Ökologie mariner Tardigraden. Zoologische Jahrbücher, Systematik, Bd. 53 (1927) S. 487 - 558.
[Anmerkung: nach wie vor die ultimative Literaturstelle über Batillipes und Echiniscoides. Leider nicht online, es lohnt sich aber, diesen wunderbaren Artikel anderweitig, z.B. über den Lieferdienst SUBITO zu bestellen ].

Ferdinand Richters: Tardigraden-Studien.
In: 40. Bericht der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft,
II. Teil: Wissenschaftliche Mitteilungen. S. 28 - 48 und 2 Tafeln. Frankfurt am Main 1909.
[Anmerkung: enthält die erste (!) Mikrofotografie eines Batillipes-Bärtierchens]


Hauptseite



© Text und Fotos von  Martin Mach