[Titelfragment 1.1] [Titelfragment 1.2] Titelfragment 1.3]
[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]


Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation mit Dr. Rolf Schuster**
Folge #12: Echiniscus testudo (Doyère 1840)

Angesichts von mittlerweile rund 1500 publizierten Bärtierchenarten ist hier im Bärtierchen-Journal natürlich Bescheidenheit angesagt. Wir sind bereits froh, wenn wir im Lauf eines Jahres auch nur 1% dieser unglaublichen Vielfalt bildlich vorstellen können!

Die sogenannten Echiniscen, zu denen der hier stellvertretend präsentierte Echiniscus testudo zählt, bilden mit rund 200 Arten eine visuell-intuitiv zusammengehörige, in sich homogene Teilmenge innerhalb der Bärtierchen-Gesamtheit. Bereits im Stereomikroskop zeigen sich typische Eigenschaften wie die gedrungene Körperform sowie die orangerote bis rote Körperfarbe.


[  ]

Abb. 1: Echiniscus testudo - oder wie ein Wissenschaftler mal sehr treffend gewitzelt hat - ein hiervon fotografisch nicht unterscheidbares Bärtierchen. Diese Art ähnelt in geradezu kurioser Weise dem Prototyp unter den deutschen Süßwaren - dem Gummibärchen! Das hier gezeigte Exemplar befindet sich im sogenannten asphyktischen (bewegungslos gestreckten) Zustand, der manchmal beim Wässern einer Probe mit zu viel Erdreich auftritt. Körperlänge ca. 300 µm - laut Literatur maximal ca. 350 µm.

Die besondere, an Teddybären erinnernde Attraktivität und Bewegungs-Eleganz der Echiniscen offenbart sich besonders in Dunkelfeld-Aufnahmen:


[  ]

Abb. 2: Dunkelfeld-Bildmontage eines Echiniscen in Bewegung (ein- und dasselbe Tier, in unterschiedlichen Bewegungsphasen). Dieses Exemplar ordneten wir vor vielen Jahren der Art Echiniscus mediantus zu - eine Montage von Echiniscus testudo würde sehr, sehr ähnlich ausschauen.

Der besondere visuelle Charme bringt allerdings auch eine taxonomische Kehrseite mit sich: Die Carotinoide im Körperinneren der Echiniscen erschweren den Blick auf weitere, für die Taxonomen wichtige Merkmale. Immerhin sind unter günstigen Bedingungen ein runder Schlundkopf, gerade Stilette, rote Augen und ein kleiner "Antennenwald" ganz vorne am Kopf erkennbar:


[  ]

Abb. 3: Hellfeldaufnahme von Echiniscus testudo. Bei heftiger Durchlichtbeleuchtung sind ein rundlicher Schlundkopf ohne Makroplakoideinlagerungen sowie lange, gerade Stilette zu sehen, die - ohne Vermittlung durch etwaige Stilettfedern - direkt seitlich am Schlundkopf anbinden.

Die Beine der Echiniscen tragen jeweils vier gleichartige Krallen, meist mit kleinen Häkchen an den Basen:


[  ]

Abb. 4: Typische Echiniscen-Krallen - die vierte Kralle, links im Bild, liegt außerhalb der Schärfeebene.

Am letzten Beinpaar von Echiniscus testudo befindet sich ein Zackenkranz, ähnlich dem in Abb. 5 gezeigten:


[  ]

Abb. 5: Typischer Zackenkranz am letzten Beinpaar eines Echiniscen.

Ziemlich mühsam gerät leider die Unterscheidung der einzelnen Echiniscen-Arten auf Basis der Filamente und Dornen an der Panzerung. Hierfür muss am Mikroskop auf die äußerste Ebene der Panzerung fokussiert werden. Die folgende Abbildung zeigt das, zur exakten Erkennung von Echiniscus testudo ausschlaggebende Filament-/Dornenmuster:


[  ]

Abb. 6: Abbildung von Echiniscus testudo aus Lucien Cuénots Klassiker "La Vie des Tardigrades" [Cuénot 1932]. Die Großbuchstaben markieren die Anhänge (Filamente, Dornen) seitlich ("lateral") am Körper, das kleine "d" zeigt an, dass sich der betreffene Anhang (hier: Dornen) auf dem Rücken des Tieres ("dorsal") befindet.

Fotografisch sind die Filamente und Dornen meist sehr viel schwieriger darstellbar. Das folgende Foto zeigt eine bei der Häutung von Echiniscus testudo abgeworfene Panzerschale mit ähnlichen Merkmalen wie in Abb. 6:


[  ]

Abb. 7: Abgeworfene Cuticula-Oberschale von Echiniscus testudo.

Besonders scharfäugige Betrachterinnen und Betrachter werden nun allerdings einen gravierenden Unterschied zwischen Abb. 6 und Abb. 7 erkennen: Bei der Bärtierchen-Panzerschale in Abb. 7 fehlen die Filamente in der Position "B". Hier liegt nämlich eine Variation von Echiniscus testudo vor, und zwar die Sonderform "trifilis" (mit drei Filamenten), welche üblicherweise gemeinsam mit der Vierfilamentspezies auftritt.

Nach derart kleinteiliger, um nicht zu sagen: kleinkarierter Taxonmie möchten wir zur Erholung ein Szenario zeigen, welches sogenannte Tönnchen von Echiniscus testudo in friedlicher Trockenstarre, zwischen den heiß geliebten, schützenden Moospflänzchen zeigt.


[  ]

Abb. 8: Echiniscus testudo in der Trockenstarre.

Anzumerken wäre hier, dass Echiniscus testudo mehr Zeit in der Trockenstarre verbringt als die meisten anderen Tardigraden. Die Art bevorzugt nämlich im Tagesrhythmus austrocknende Standorte wie stark besonnte Steinbrocken und Betonwände.


Echiniscus testudo legt seine glattschaligen, orange-rötlichen Eier bei der Häutung in der Cuticula ab:


[  ]

Abb. 9: Gelege von Echiniscus testudo mit drei Eiern in unterschiedlichen Reifestadien.



Last but not least: zur Namensgebung von Echiniscus testudo


Echiniscus testudo wäre wohl frei zu übersetzen als "kleines (see-)igelartiges Tier mit an Schildkröten erinnernder Panzerung".



Anmerkungen und Literatur

(*) Der Bärtierchenspezialist, Partner und Co-Autor dieser Taxonomie-Serie, Dr. Rolf Schuster, berät Sie gerne bei tiefer schürfenden taxonomischen Fragestellungen und bei der Bestimmung der von Ihnen gefundenen Bärtierchen. Schreiben Sie einfach eine Mail an Rolf Schuster !

(*) Ab sofort gibt es einen, quasi mitwachsenden Bärtierchen-Bestimmungsschlüssel aus der Hand von Dr. Rolf Schuster: Hier geht es zum aktuellen Schlüssel !


Lucien Cuénot (1932), Tardigrades, S. 49-51.

Hieronim Dastych (1988), The Tardigrada of Poland. S. 54-56.
Monografie Fauny Polski 16.

Hartmut Greven (1980), Die Bärtierchen.

Hartmut Greven (2018), From Johann August Ephraim Goeze to Ernst Marcus: A Ramble Through the History of Early Tardigrade Research (1773 until 1929).
In R. O. Schill (Ed.), Water Bears: The Biology of Tardigrades (pages 1-55). Springer, Cham.

Ernst Marcus (1929), Tardigrada, S. 371-373. Leipzig, 608 Seiten.
[Anmerkung: Achtung - das ist die große, seltenere Monographie von Ernst Marcus! Unser fast druckfrisches Exemplar verdanken wir übrigens der Entscheidung eines fehlgeleitenden Bibliothekars, der es im Jahr 2005 an der Pädagogischen Hochschule Erfurt aussonderte! Vielleicht ein Besserwessi, wer weiß? Und ja, wie der Entleihstempel zeigt, hatte es bis zu diesem Zeitpunkt niemand ausgeliehen - bizarr ist sie, unsere Welt!]

Walter Maucci (1986), Tardigrada. S. 90-92.


Hauptseite



© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach