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[Titelfragment 2.1] [Titelfragment 2.2] [Titelfragment 2.3]
[Titelfragment 3.1] [Titelfragment 3.2] [Titelfragment 3.3]



So, so - ein großes Urlaubsmikroskop wollt Ihr? (I)


Die Konsumentenseele: "Wir fotografieren vor allem Meeresbärtierchen, was keineswegs einfach ist. Ein großes Reisemikroskop unterstreicht ja auch die Ernsthaftigkeit unseres Hobbys! Die Optik darf deshalb nicht grottenschlecht sein. Und bequem fotografieren möchten wir damit sowieso, klar, am besten mit der eigenen, schon vorhandenen Kamera. Ich dachte deshalb an ein solideres Gerät mit binokularem Einblick und Fototubus - das ergibt zusammen, wenn ich richtig rechne, schon mal ein klares trinokular."


Der Finanzier: "Mehr als 400 Euro sollte es aber nicht kosten, aus und Schluß! Das ist sowieso schon eine Stange Geld. Und was die Foto-Adaption angeht, da baut Ihr Euch einfach etwas aus dem vielen analogen Fotoschrott, der sich in Euren Schubladen angesammelt hat."


[ Mikroskopische Schattenwesen ]


Stellvertretende Illustration: Die Schatten unserer neuesten Urlaubs-Mikroskopausrüstung an der Wand eines Hotelzimmers in Kroatien, im Herbst 2014.

Der Technikberater: "Ich empfehle, statt der billigen achromatischen Mikroskop-Objektive zumindest Semiplan-Achromate zu kaufen. Besser wären natürlich Fluorit-Optiken, Apochromate oder Planapochromate."

Der Finanzier: "Stop! Ihr seid schlichtweg wahnsinnig."

Der Technikberater: "Trotzdem sollten wir uns das vielleicht mal anschauen."


Und genau das, liebe Leserinnen und Leser, werden wir jetzt auch tun. Als erstes vergleichen wir einen gut korrigierten 10er Apochromaten mit einem preiswerten 10er Semiplan-Objektiv der 30 € Preisklasse. Der Apochromat ist in einem großen Mikroskop montiert, welches zur Not als Forschungsmikroskop durchgehen könnte, das Semiplan-Objektiv in einem einfacheren Importstativ.

Als erstes Vergleichsobjekt verwenden wir den, bei derartigen Diskussionen gerne herangezogenen Mikrometermaßstab (im Bewußtsein der Tatsache, daß es im Grunde genommen fragwürdig ist, weil eben realitätsfern):


[ Vergleichsaufnahmen mit 10er Objektiven ]


Links: Mikrofoto eines Objektmikrometermaßstabs, aufgenommen mit einem apochromatischen Mikroskopobjektiv (10x/N.A. 0,30).
Rechts: Mikrofoto des selben Objektmikrometermaßstabs, aufgenommen mit einem "No name" Semiplan-Mikroskopobjektiv der 30 € Preisklasse (10x/N.A. 0,25).
Anmerkungen: Gezeigt wird jeweils nur ein kleiner zentraler Ausschnitt des tatsächlichen Sehfeldes (und zwar ein ca. 0,3 mm breiter Ausschnitt von einem in Wirklichkeit 1,5 mm breiten Gesichtsfeld). Da die Bärtierchen kleinflächig und näherungsweise zylindrisch sind, spielt es für uns keine große Rolle, ob das Sehfeld bis zum Gesichtsfeldrand hin plan ist. Es ist auch schlichtweg egal, ob die Schärfe zum Rand hin womöglich etwas nachläßt. Letzteres kann wohlgemerkt bei anderen Objektkategorien völlig anders zu gewichten sein. Wenn Sie mit der Nase dicht an Ihren Monitor herangehen, werden Sie vielleicht erkennen, dass das Apo-Objektiv farblich minimal besser korrigiert erscheint, am deutlichsten erkennbar ist es wohl in der Nachbarschaft der Mikrometerziffern.

Hier sehen Sie die zugehörigen Fotos von den abbildenden Mikroskopobjektiven:


[ 10er Mikroskopobjektive unterschiedlicher optischer Korrektur]


Links: Apochromatisches Objektiv (10x/N.A. 0,30).
Rechts: "No name" Semiplan-Mikroskopobjektiv der 30 € Preisklasse (10x/N.A. 0,25).


Ist es demnach völlig egal, welches Mikroskopobjektiv wir verwenden? Die vielleicht etwas verwirrende Antwort lautet: Ja, manchmal schon.

Kehren wir nun einfach vom, etwas praxisfremden, Mikrometermaßstab in unsere Bärtierchenrealität zurück. Rein fotografisch betrachtet besonders frustrierende Objekte sind die Bärtiercheneier: klein, von ungünstiger Geometrie (kugelförmig) und extrem kontrastarm. Mit den oben eingesetzten 10er Objektiven ist unter diesen Bedingungen nicht mehr viel auszurichten. Schauen wir uns deshalb so ein Bärtierchen-Ei mit etwas höher auflösenden Objektiven unterschiedlicher Korrekturklassen an. Da es unserer Ansicht nach schon etwas unfein wäre, einfach einen 40er Achromaten mit einem 40er Apochromaten zu vergleichen, haben wir hier einen Achromaten und einen Apochromaten gleicher Auflösungskraft (gleicher Numerischer Apertur) gegenüber gestellt:


[ Vergleichsaufnahmen mit 10er Objektiven ]

Ei eines Macrobiotus-Bärtierchens - ausnahmsweise mal ein Dauerpräparat, Durchmesser ohne Ei-Ausschüsse 81 µm, mit Ei-Ausschüssen 90 µm.
Links: Abbildung mit Hilfe eines Apochromaten (20x/N.A. 0,65), Detailausschnitt mit ca. 0,1 mm Breite aus einer viel größeren Sehfeldbreite von 0,8 mm - im Vergleich zum Semiplan-Achromatenbild deshalb stärker nachvergrößert.
Rechts: Abbildung mit Hilfe eines "No name" Semiplan-Achromaten (40x/N.A. 0,65), Detailausschnitt mit ca. 0,1 mm Breite aus insgesamt 0,4 mm Sehfeldbreite.

Der Apochromat war vielleicht nicht ganz exakt fokussiert, was angesichts des kontrastarmen Objekts jedoch schon mal vorkommen kann. Jedenfalls erscheint die Aufnahme mit dem Achromaten im Detailreichtum durchaus gleichwertig. Interessanterweise werden jedoch beim Achromaten (wohl wegen des preiswerteren Stativs mit nur eingeschränkter Kontrolle des Lichtwegs unter dem Objekttisch) ein fleckiger Hintergrund und ein sogenannter Hotspot, d.h. ein Lichtfleck in der Bildmitte, erkennbar, beides Eigenschaften, die die Freude am bildlichen Gesamteindruck merklich dämpfen.


So weit, so gut. Im wirklichen Leben würden wir jedoch nun beim teureren Mikroskop einfach eine optische Wunderwaffe, z.B. 40er Trocken-Apochromaten einschwenken und das folgende Bild erhalten:

[ Vergleichsaufnahme 40er Apo  ]


Abbildung des selben Macrobiotus-Ei-Präparates mit einem höher auflösenden Apochromaten (40x/N.A. 0,95). Es ist deutlich erkennbar, daß die Abbildungsqualität hier drastisch besser sein kann. Achromaten mit einer derart hohen Apertur gibt es nicht, weshalb ein direkter Vergleich in dieser Kategorie nicht mehr möglich ist. Man könnte sich aber ersatzweise mit einem 60x/N.A. 0,85 Achromaten behelfen. Dieser wird allerdings beim Billigmikroskop-Komplettangebot normalerweise nicht enthalten sein.


Und hier noch ein Bild vom "Täter" selbst:


[ LOMO apochromatisches Mikroskopobjektiv (40x/N.A. 0,95) ]


Apochromatisches Mikroskopobjektiv von LOMO (40x/N.A. 0,95), mit Hilfe dessen obiges Foto angefertigt wurde. Trockenobjektive mit derart hohen Aperturen verfügen in der Regel über einen Rändelring (siehe Bild), der Korrekturen variierender Deckglasdicken erlaubt und sie haben überdies einen sehr geringen Arbeitsabstand. In der Konsequenz sind sie allerdings teurer und nicht ganz so problemlos handhabbar wie die weiter oben gezeigten, einfacheren Objektive.

Zusammenfassend läßt sich somit festhalten, daß selbst die preiswerteste Optik am einfachen Stativ in bestimmten Fällen absolut zufriedenstellend funktionieren kann - in der Regel auch bei den Bärtierchen.

Auch das übrige Wassertropfenleben wird man mit den preiswerteren Optiken in der Regel gut studieren und fotografieren können.

Gefärbte Dünnschnittpräparate (d.h. die typischen histologischen und pflanzlichen Dauerpäparate) stellen übrigens die geringsten Anforderungen an die apparative Technik. Ihre wesentlichen Merkmale wird man häufig sogar am allerbilligsten, um nicht zu sagen: schundigsten, Spielzeugmikroskop noch gut nachvollziehen können.

Bei diffizileren Fragestellungen und schwerer darstellbaren Objekten, wie zum Beispiel den Bärtierchen-Eiern, kann es jedoch durchaus vorkommen sein, dass der Geldbeutel darüber entscheidet, ob ein bestimmtes Foto noch möglich ist oder nicht.

Im nächsten Journal werden wir stellvertretend ein ganz bestimmtes, vergleichsweise billiges trinokulares Mikroskop vorstellen und dessen Möglichkeiten/Grenzen bei der Bärtierchenbetrachtung und -fotografie erläutern.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach