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Die Bärtierchen-Live-Beobachtung (im Freien!), Teil III

Die Klickzahlen auf unsere englischsprachige Schwesterseite tardigrades.com sind definitiv rückläufig. Vielleicht liegt es daran, dass wir unser Layout seit dem Jahr 2001 kaum angepasst haben? Ursache könnte allerdings auch sein, dass immer mehr andere Amateurjournalisten auf allen Kanälen mit Nachrichten feuern. Die Leser sind damit gut beschäftigt. Denken Sie beispielsweise an die unzähligen ReTweets auf Twitter, an die in Kettenbriefmanier weiterverbreiteten Katzenvideos auf YouTube, an Internet-Blogs zu allen Lebenslagen sowie an das neue Berufsbild der Internet-Influencer im Stile einer iJustine oder eines Casey Neistat.

Das alles oder zumindest einiges davon bedeutet Ihnen, lieber Leser, rein gar nichts? Dann, ähm, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei Ihnen um einen schrulligen Mikroskopie-Amateur oder ein sonstiges Restexemplar der Spezies Homo sapiens jenseits der 40 Lenze handeln könnte ;-)

Folgendes Bild mag als Metapher für den immensen Wertverlust jeglicher Amateur-Naturfotografie - bis hin zur völligen Nichtigkeit - herhalten:


[ Delphinpaar bei Rovinj, Kroatien ]

Abb. 1: Foto bei einer abendlichen Delphintour im dalmatinischen Meer

Zunächst waren wir enorm stolz auf dieses Foto: Immerhin, mit einem 300er Objektiv genau im richtigen Moment genipst. Noch dazu ohne Autofokus. Aber, nüchtern betrachtet, taugt es dann eben doch "nur" als persönliche Erinnerung an einen rührenden Moment - nämlich eine selbst erlebte Live-Beobachtung von sympathischen Lebewesen in seelenschmeichelnder Atmosphäre. Unterstützend wirkten natürlich auch der touristenfreundliche Skipper sowie ein zeitgleich gereichter Becher mit kroatischem Wein.

Andererseits gibt es im Internet vermutlich Zehntausende Delphinfotos, die bei nüchterner Betrachtung schlichtweg besser gelungen sind. Deshalb bleiben wir bei der Bärtierchen-Live-Beobachtung in natürlicher Umgebung - dazu gibt es im Internet derzeit unseres Wissens nach keine Entsprechung. Betrachten wir deshalb nochmals die beiden Fotos vom letzten Journal:



[ Bärtierchen live, vor Ort, im Stereomikroskop ]

Abb. 2: Blick durch ein Stereomikroskop der 30 € Preisklasse auf eine bemooste Betonmauer im leicht regennassen Zustand.

[ Bärtierchen live, vor Ort, im Stereomikroskop  ]

Abb. 3: Eine Zweierexpedition in lebensfeindlichem Terrain? Ausschnittvergrößerung aus dem obigen Übersichtsbild. Es handelt sich um eine extreme Nachvergrößerung aus einem improvisierten Aufbau (Kamera auf Okular gedrückt). Der visuelle Eindruck am Gerät ist deutlich besser. Schade, dass es nur ein Standbild ist. Die beiden Bärtierchen krabbelten hier tatsächlich hintereinander in eine Richtung. Die visuelle Auflösung reicht gerade aus, um die winzigen Beinchen noch in Aktion zu sehen - wohlgemerkt im Ultraminibudget-Stereomikroskop. Zugegeben, kein 5K, aber trotzdem krasse Klasse.

Die Fotos sind natürlich insofern bereits wieder Schnee von gestern. Sorry. Neu sind jedoch die hierbei gewonnenen Einsichten: Vielleicht haben Sie ja mal eines dieser Videos gesehen, bei denen ein Killerwal sich aus dem Meer an Land wälzt um eine ahnungslose Robbe zu überfallen? Beim Orca sieht es so aus, als würde quasi ein Autobus plötzlich aus dem Wasser springen. Das Wasser kommt dabei nicht mehr so richtig mit, es umgibt den Orca bestenfalls noch in dünner Schicht.

Die terrestrischen Bärtierchen haben im Gegensatz zum Orca, der ja - als delphinähnliches Wesen - ein Luftatmer ist, deutlich schlechtere Karten. Sie dürfen, wie vielfältige Beobachtungen gezeigt haben, als waschechte "Wasseratmer" ihr Milieu überhaupt nicht verlassen, gehen an der Luft sofort zugrunde. Umso mehr hat es uns erstaunt, dass die beiden Bärtierchen in Abb. 3 sich auf dem Weg von einer Moosinsel zur nächsten befanden, lediglich linsenartig von einer sehr dünnen Schicht Wasser umgeben. Sie zwängten sich sozusagen zwischen Wasser und Untergrund hindurch, verdammt mutig.

An diesem Punkt stellt sich dann natürlich auch die Frage, ob die beiden kühnen Pioniere möglicherweise aus dem Wasser heraus in unsere Welt sehen können? Ein (angesichts der gemeinsamen Marschrichtung und des Geschlechterproporzes bei den Echiniscen) höchstwahrscheinlich weibliches Zweierteam? Schließlich marschierten sie ja in die gleiche Richtung. Oder war es nur ein Zufall und kein Team? Ob die beiden die zweite Moosinsel sehen und ínsofern gezielt ansteuern konnten?

Deshalb, verzweifelt themensuchende Schüler und liebe Lehrer mit chronischem Tardigraden-Themenmangel: Das ist wirklich spannend, besser als die vielen mörderischen, pseudowissenschaftlichen Tardigraden-Experimente mit Säuren, Kühlschrank und UV. Schließlich bewegen sich die Tardigraden hier auf einem schmalen Pfad zwischen einem zuviel an Wasser (weggeschwemmt) und einem zuwenig an Wasser (erstickt). Die Beobachtungen sind, wie im Oktoberjournal beschrieben, mit geringem technischen Aufwand möglich, werden allerdings nur mit Fleiß, bei den passenden Wetterbedingungen und guter Tardigraden-Habitatkenntnis erfolgreich sein. Gutes Gelingen!



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach