Das Bärtierchen-Journal
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Bis ins feinste Detail ...

Lange Zeit bot ausschließlich das Lichtmikroskop den Zugang zu den kleinsten Strukturen und Lebewesen. Der Zauber, welcher im 19. Jahrhundert von einschlägigen Wortkombinationen, wie z.B. "Auflösung feinster Details" ausging, ist für uns heute kaum mehr nachvollziehbar.

Praktisch jedes bessere Mikroskopie-Lehrbuch ging damals der Frage nach, wie man beim Mikroskopkauf mit Hilfe geeigneter Testpräparate die maximal mögliche optische Auflösung nachprüfen könne.

Im Jahr 1886 hatte Ernst Abbe die rechnerischen Grundlagen zur Produktion der Zeiss'schen Apochromat-Mikroskopobjektive geliefert. Auch die "ganz Großen" waren sich damals nicht zu schade, in wahrhaft klitzekleinen Diatomeen nach immer feineren Strukturen zu suchen.

Besonders die Testdiatomeen Pleurosigma angulatum und Amphipleura pellucida hatten es den Forschern angetan. Die Feinstruktur der äußerst unscheinbaren und blassen Diatomee Amphipleura pellucida ist in kleinen Kursmikroskopen absolut unsichtbar und offenbart sich erst unter dem Ölimmersionsobjektiv.


[ Detail der Testdiatomee Amphipleura pellucida ]

Detail der Testdiatomee Amphipleura pellucida. Mikrofotografie aus dem Jahr 1891(!). Bildbreite 10µm.
Besorgen Sie sich doch selbst ein Testpräparat mit dieser Diatomee und schauen Sie, wie weit Sie mit Ihrem aktuellen Lichtmikroskop aus dem 20. oder 21. Jahrhundert kommen!
Die Aufnahme wurde von dem berühmten Professor Henri van Heurck (1838 - 1909) angefertigt, der auch in diesem Fall seinem extremen Ruf gerecht wurde und alle Register zog:
Er verwendete ein Zeiss-Objektiv mit der Numerischen Apertur von 1,6 - so etwas werden Sie in den aktuellen Katalogen namhafter Mikroskop-Hersteller vergeblich suchen.
Professor van Heurck setzte Objektträger und Deckgläser aus Flintglas ein, mit einem Brechungsindex von 1,72 [ein guter Rat nebenbei: Fragen Sie bitte  nicht  bei Ihrem örtlichen Laborfachhandel nach, ob es dort so etwas zu kaufen gibt; lesen Sie vielleicht statt dessen lieber das Buch "Die artige Kunst, sich Feinde zu machen ..."].
Das Einbettungsmedium hat einen Brechungsindex von 2,4.
Abbildung aus dem 'Carpenter', siehe unten bei Literatur.



Feinste Details - Gedanken zur Symmetrie eines Bärtierchens

Die zentrischen Diatomeen werden gerne als Paradebeispiele natürlicher Symmetrie gezeigt. Wenn Sie aber ein wenig genauer hinschauen, werden Sie feststellen, daß die Natur die Symmetrie nicht immer streng bis in das kleinste Detail aufrecht erhält.


[ Zentrische Diatomee ]

Zentrische Diatomee. Durchmesser 0,2 mm. Besonders beeindruckend: Die "Skalierung" am Schalenrand.


Vermutlich kennen Sie auch die Vergleiche zwischen der linken und rechten Gesichtshälfte des Menschen, die immer gewisse Unterschiede erkennen lassen.

Diese nicht ganz perfekte Symmetrie findet sich auch bei den Bärtierchen. Die Detailabbildung eines Bärtierchen-Rückenpanzers (unten) läßt zweifellos eine Symmetrieachse in Körper-Längsrichtung erkennen, welche auch durch die unterliegenden, gelblich erscheinenden Strukturen bestätigt wird. Bei genauerem Hinsehen tauchen nun viele Fragezeichen auf: Sind die Strukturen auf dem Panzer nun eher Vier-, Fünf- oder Sechsecke, oder gar Kreise? Welche Funktion haben die kleinen kreisrunden Buckel innerhalb der Strukturen? Kommen die Unsymmetrien vielleicht daher, daß das gesamte Bärtierchen sich, wie wir in der letzten Ausgabe gesehen haben, durch aufeinanderfolgende Zellteilungen entwickelt, wobei die anfangs strenge Symmetrie immer mehr auf der Strecke bleibt? Und: Wozu braucht ein so furchtbar kleines Tier überhaupt eine dermaßen raffinierte Strukturbauweise?
Sie sehen schon: Visuelle Details sind zwar oft zum Staunen geeignet, leider stimmen sie auch ein bißchen traurig, weil sich immer neue Fragen auftun, welche durch den Kauf weiterer optischer Bauteile wohl nicht zu klären sein werden.


[ Rückenpanzer eines Echiniscen ]

Detail vom Rückenpanzer eines Echiniscus-Bärtierchens (nach links unten schauendes Tier, von oben).
Der Ausschnitt zeigt die Feinstruktur der Rumpfplatte I. Links im Bild außerdem andeutungsweise zu sehen: der Cirrus "A" mit "Zweizackenhalterung" und die sogenannte Clava (kleiner, kurzer "Lappen"). Ölimmersion N.A. 1,30.



Feinste Details - Ingenieurskunst und Design im Mikromaßstab

Das Ölimmersions-Objektiv zeigt uns auch bei den Bärtierchen-Krallen immer feinere Details. Man sollte sich allerdings der Tatsache bewußt sein, daß wir bei den kleinen Strukturen schon mal Artefakten aufsitzen können. Wir dürfen jedoch wohl vermuten, daß die unten gezeigten Krallen im Querschnitt einem Doppel-T-Träger entsprechen. Von der Funktion her würde es jedenfalls einen Sinn ergeben.


[ Echiniscus-Bärtierchen; Krallen   ]

Krallen an einem Bein des hintersten Beinpaars eines Echiniscus-Bärtierchens. Achten Sie auf die Skulpturierung der rechten und linken Kralle. Die gleiche Struktur findet sich auch bei der Kralle auf dem nächsten Bild.
Ölimmersion N.A. 1,30.


[ Echiniscus-Bärtierchen; Kralle ]

Zackenmanschette und Kralle an einem Bein des hintersten Beinpaars eines Echiniscus-Bärtierchens, von der Seite gesehen.
Ölimmersion N.A. 1,30.


[ Echiniscus-Bärtierchen; Zackenmanschette ]

O.K., wohl etwas kürzer als das Bein von Claudia Schiffer, aber trotzdem elegant: Feinstruktur der Zackenmanschette an einem Bein des hintersten Beinpaars eines Echiniscus-Bärtierchens.
Ölimmersion N.A. 1,30.


Was die schicke Beinmanschette angeht, haben wir hier schon mal die Vermutung geäußert, daß die Zacken zum Abstoßen vom Untergrund oder auch zum Abstreifen unerwünschten Algengemüses dienen könnten.


Für alle Quereinsteiger und neu Hinzugekommenen fahren wir jetzt die Vergrößerung stark herunter und zeigen zum Abschluß wieder ein ganzes Bärtierchen - damit der Überblick nicht verloren geht.


[ Echiniscus-Bärtierchen ]

Echiniscus-Bärtierchen aus der Münchner Innenstadt, Dunkelfeldaufnahme. Länge ca. 0,25 mm.


Literatur

F. K. Möllring: Mikroskopieren von Anfang an. S. 63 ff [Annex mit einigen Jahreszahlen zur Zeiss-Mikroskopie-Geschichte]. Vermutlich 1979 erschienen.

W. B. Carpenter: The microscope and its revelations. Tafel XI. 7. Auflage, London 1891.

Whistler, James Abbott Mc Neill: Die artige Kunst, sich Feinde zu machen. Mit einigen unterhaltenden Beispielen, wie ich die Ernsthaften dieser Erde zuerst mit Vorbedacht zur Raserei und dann in ihrem falschen Rechtsbewußtsein zur Unanständigkeit und Torheit gebracht habe. Aus dem Englischen von Margarete Mauthner. Hanau Kiepenheuer 1984.


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© Text und Fotos von  Martin Mach