Das Bärtierchen-Journal
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Millionenstädte in Millionenstädten (Bärtierchen in der Großstadt)

Das Internet hat, sicherlich, seine guten und schlechten Seiten.
Auf eine  sehr  gute Seite möchten wir hier aufmerksam machen.
Es handelt sich um die online-Version der Dissertation von Rolf Schuster, welche - Sie werden es schon ahnen - ausschließlich dem Thema "Bärtierchen" gewidmet ist.

Für Modembesitzer nennen wir vorab die Dateigröße: 2,47 MB. Glasfasersäuglinge und DSL-Jünger brauchen sich natürlich keine Sorgen zu machen.

Der Titel lautet:

Rolf Schuster: Faunistische und ökologische Untersuchungen an moosbewohnenden Tardigraden. 163 S. Dissertation. Hinterzarten/Schwarzwald 2003.

Die pdf-Datei finden sie  hier . Und genießen Sie für einen kurzen Moment das großartige Gefühl noch (?) in einem Land zu leben, welches derartige Werke für jedermann, sogar Kassenpatienten, kostenlos zur Verfügung stellt und nicht gleich die Hand dafür aufhält. Bravo!

Nur lesen müssen Sie noch selbst.

In der Dissertation finden Sie das notwendige methodische Rüstzeug, wenn Sie z.B. folgender Frage nachgehen wollen:

Wieviele Bärtierchen dürften in einer Großstadt wie München leben?
(nota bene: obwohl sie niemand bemerkt)


Wir haben hier im Bärtierchen-Journal - inspiriert durch die Dissertation - einen vergleichsweise einfachen Weg eingeschlagen,
um zumindest zu einer annähernden Zahl zu kommen. Klassische Bärtierchen-Biotope, wie das bekanntermaßen dicht bewohnte Pflasterritzenmoos und das Isarbett haben wir ausgeklammert, genauso hoffnungslose Bereiche wie die Münchner Stadtautobahn "Mittlerer Ring". Statt dessen schauen wir auf ein Milieu, welches eine große Fläche einnimmt und leicht zu beproben ist: Herbstlaub.


[ Laub auf dem Pflaster eines Münchner Hinterhofes ]

Laub auf dem Pflaster eines Hinterhofes in München.


[ Laub auf dem Pflaster eines Münchner Hinterhofes ]

Laub auf dem Pflaster eines Hinterhofes in München (ein wenig näher dran).


[ Laub auf dem Pflaster eines Münchner Hinterhofes, in Petrischale]

Laub vom Hinterhof, in einer Petrischale eingeweicht.

Die Blätter sind vermutlich für Bärtierchen nicht ideal, weil sie keinerlei Unterschlupf gewähren. Trotzdem haben wir in jeder Probe zumindest ein Bärtierchen gefunden, im vorliegenden Falle ausschließlich von der Art  Ramazzottius oberhaeuseri .


[ Ramazzottius oberhaeuseri ]

Bärtierchen Ramazzottius oberhaeuseri, aus einem Münchner Hinterhof (1).
Körperlänge ca. 0,25 mm.


[ Ramazzottius oberhaeuseri ]

Junges Bärtierchen Ramazzottius oberhaeuseri, aus einem Münchner Hinterhof (2).
Körperlänge ca. 0,2 mm.


[ Ramazzottius oberhaeuseri ]

Bärtierchen Ramazzottius oberhaeuseri, aus einem Münchner Hinterhof (3).
Detail: Vorderkörper mit Schlundkopf.
Ramazzottius oberhaeuseri hat übrigens keine Augen.


Nun ja, drei Proben, mit jeweils einem oder zwei Individuen, eine tolle Statistik gibt das nicht her. Deshalb haben wir in der Dissertation von Rolf Schuster nachgeschaut. Auf Seite 126 gibt es eine Tabelle zu den Abundanzen (Individuenanzahl pro Flächeneinheit) welche verschiedene Autoren für nichtideale Bärtierchen-Wohnräume ermittelt haben.
Die Minimal- Bewohner-Zahlen für Laub und Boden liegen zwischen 0,1 und 1,3 Bärtierchen/cm². Für einen Hof von 40 x 40 Metern Größe errechnet sich bei einer Bewohnerdichte von 0,1 Bärtierchen/cm² eine Hinterhof-Gemeinschaft von 1,6 Mio. Bärtierchen. Es könnten natürlich auch ein paar mehr oder ein paar weniger sein. Prüfen Sie es doch einfach nach!

Und wenn wir schon bei den zweifelhaften Schlußfolgerungen angelangt sind, können wir gleich weiter spekulieren. Das ergäbe rund 1 Milliarde Bärtierchen pro km², für ganz München also mehr als 100 Milliarden.
Für die gesamte Erdoberfläche, lassen wir das Meer mal weg, kämen wir auf ungefähr 125.000.000.000.000.000 Bärtierchen. Auch hier gilt: Stellen Sie ruhig selbst eine Gegenrechnung auf, am besten gleich einschließlich der Weltmeere, sonst ist wieder alles falsch.

Ein gutes 2006 für alle Leserinnen und Leser!


Literatur

Rolf Schuster: Faunistische und ökologische Untersuchungen an moosbewohnenden Tardigraden. 163 S. Dissertation. Hinterzarten/Schwarzwald 2003.

Roberto Guidetti, Roberto Bertolani und Diane R. Nelsnon: Ecological and Faunistic Studies on Tardigrades in Leaf Litter of Beech Forests. Zoologischer Anzeiger 238 (1999) S. 215 - 223.


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© Text und Fotos von  Martin Mach