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Die E-mails an das Bärtierchen-Journal könnte man in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe besteht aus Anfragen, wie wir sie wohl naheliegenderweise erwarten sollten:

+++ Wie bestimme ich die Bärtierchenarten? +++ Hilfe! Ich finde überhaupt keine Bärtierchen, woran liegt das? +++ Wie kann ich Bärtierchen züchten? +++ Wie ist die Größenverteilung bei Bärtierchen im Bodensee-Bereich +++ Darf ich Ihr Foto xy, wenn es geht umsonst, in meiner Publikation yz verwenden? +++ Wo kann ich Bärtierchen kaufen? +++ Haben Sie eine Arten-Häufigkeitstabelle für Niedersachsen? +++ Ich möchte das Bärtierchen-Journal in gedruckter Form kaufen +++ Ist das alles wahr oder nur ein Witz? +++ ... usw.

Etwas weniger häufig, aber regelmäßig kommen E-Mails, die ich als irregulär und überraschend bezeichnen möchte. Typische Beispiele sind:

+++ Ich glaube, daß Bärtierchen  in   meinem Körper leben. Wie kann ich mich dagegen wehren? +++ Können Bärtierchen in Textilien leben? +++ Wie kann ich Bärtierchen in meiner Wohnung abtöten? +++ Sind Bärtierchen Außerirdische? +++ ... usw.

Interessanterweise wurde das letzte Thema, d.h. die Frage, ob Bärtierchen außerirdische Lebewesen sein könnten, im anspruchsvollen Diskussionsforum des Heise-Verlags unter dem Generalthema  "Auch die ESA beschäftigt sich verstärkt mit Fragen der Astrobiologie"  jüngst eingehend diskutiert. Lesen Sie bitte hierzu das aktuelle  Zitat  des Monats.

Vielleicht liegt es an der geradezu unheimlichen Miniaturisierung von Wesensmerkmalen und Gesten, welche wir nur wesentlich größeren Tieren zutrauen. Falls Sie es noch nicht getan haben, werfen Sie in diesem Zusammenhang doch mal einen Blick in die  Kurzfilmgalerie II  (es lohnt sich! Vermutlich hat auch Ihr Biologielehrer Ihnen, als Sie noch klein waren, nicht ein einziges Bärtierchen gezeigt, sondern in der knappen Zeit laut Lehrplan lieber die Zellteilung am Beispiel der ungemein attraktiven Küchenzwiebelhaut erläutert).

Sogar die stets nüchtern argumentierenden Naturwissenschaftler konnten ihr Staunen beim Thema Wasserbären nicht verbergen (vgl. hierzu den MICSCAPE-Artikel The incredible water bear ) und benutzten regelmäßig unwissenschaftlich-emotionale Bezeichnungen wie "merkwürdig", "seltsam", "eigenartig", "mirakulös" usw.

Tatsächlich wirken auch manche der mikroskopischen Aufnahmen von den Wasserbären überaus eindrucksvoll, ja geradezu unheimlich.
Die unten gezeigte Photographie ist am Mikroskop unter Dunkelfeld-Beleuchtung ohne Verfremdung entstanden. Das Echiniscus-Bärtierchen sieht in diesem Licht aus wie abgebildet:


[]

Ist das nun ein Bild eines
außerirdischen Lebewesens
oder nur eine Dunkelfeldaufnahme
eines Echiniscus-Bärtierchens?

Mikroaufnahme
(Originalgröße des Tiers ca. 250 µm).


Da die Teilnehmer am Diskussionsforum des Heise-Verlages meiner Meinung nach keine Spinner sind, möchte ich ein wenig ausführlicher auf das Thema "Außerirdische" eingehen.

Zunächst können wir uns natürlich fragen, welche Eigenschaften ein Lebewesen haben müßte, um problemlos durch das Weltall zu reisen.
Es sollte selbstverständlich in gesundem und fortpflanzungsfähigen Zustand auf der Erde ankommen können. Um es diesem fiktiven Lebewesen nicht allzu leicht zu machen, setzen wir erschwerend voraus, daß kein schützendes Raumschiff, sondern bestenfalls ein kahler Felsbrocken als Transportmittel zur Verfügung steht.
Das Anforderungsprofil, welches der fiktive Reisende zu erfüllen hätte, wirkt ziemlich abschreckend:

- Er muß das Vakuum des Weltalls vertragen
- Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt (minus 273°C) sollten ihm nichts ausmachen
- Gut wäre auch eine gewisse Resistenz gegen kosmische Strahlung
- Bei der Landung auf der Erde muß wohl ein wenig Hitze (z.B. 100°C) ertragen werden
- Einige Jahre Reisezeit ohne Luft, Wasser, Nahrung, Toilette usw. sollten kein Problem sein

Die meisten Kandidaten aus dem Reich der Zoologie einschließlich des maßlos von sich selbst überzeugten  Homo sapiens   würden die ungemütliche Reise nicht überleben.
Die Bärtierchen könnten es jedoch auf jeden Fall schaffen. Ihre Trockenformen   haben alle genannten Eigenschaften für eine Weltraumdurchquerung: Sie ertragen klaglos Vakuum, extreme Kälte und extreme Hitze, hohe radioaktive Strahlung und viele weitere widrige Umstände. Die Trockenformen der Bärtierchen können jahrelang ohne Luft, ohne Wasser und ohne Nahrung überleben. Im angelsächsischen Sprachbereich werden die Bärtierchen deshalb gerne als   extremophile Lebewesen   bezeichnet.

Lassen sich noch weitere Argumente anführen, welche die Außerirdischen-Hypothese stützen? In den weltraumähnlich-unendlichen Weiten der Fachliteratur finden wir tatsächlich vertiefende Überlegungen. So weist VETTNER (siehe unten bei Literatur) auf das Phänomen der sogenannten "over-adaptation" hin. Die Argumentation lautet wie folgt:

Die Bärtierchen besitzen eine enorme Anpassungsfähigkeit an extreme Bedingungen, welche auf dem Planeten Erde überhaupt nicht erforderlich ist, quasi ein Übermaß an Vitalität. Der Werkzeugkasten des Überlebens ist bei den Bärtierchen außergewöhnlich funktional und geschickt gebündelt. Es ist die Fülle der erstaunlichen Eigenschaften, welche auf der Erde luxuriös und übertrieben wirkt. Laut VETTNER ist das   Bündel der extremen Eigenschaften  durch einfache Evolutionsauslese unter irdischen Bedingungen nicht zu erklären.

Was könnte noch für die außerirdische Existenz sprechen? Es gibt tatsächlich noch weitere Argumente. So ist es bislang trotz zäher Bemühung nicht gelungen, eine klare Verwandschaft zwischen den Bärtierchen und den übrigen Lebewesen nachzuweisen, was letztendlich dazu geführt hat, ihnen die hohe Ehre eines eigenen biologischen Stammes zuzugestehen.

Schließlich existiert nur ein einziger und obendrein umstrittener fossiler Bärtierchen-Fund (in Bernstein). Auch dies könnte man als Indiz einer relativ späten "Erdinvasion" deuten.

Es wird sicherlich nüchtern denkende und streitbare Leserinnen und Leser geben, die zu allen Argumenten plausible Gegenargumente finden werden. Letztendlich bleibt uns wohl ohnehin nichts anderes übrig, als die Betrachtungsweisen beider Seiten zu überdenken und uns dann wieder unserer eigenen, kuriosen Erdwurm-Situation mit dem vielfach gepriesenen und angeblich außerordentlichen menschlichen Bewußtsein zuzuwenden.


Literatur (zitiert nach Ian M. Kinchin: The Biology of Tardigrades, S. 80):

Vettner, Joachim: The "little bears" that evolutionary theory can't bear!
Creation Ex Nihilo  12 (1990) 16-18.



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© Text und Mikrofotos von  Martin Mach