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Das kleinste Mikroskop der Welt (III)

In den beiden jüngsten Journalen hatten wir ein winziges, quasi lediglich halbdaumengroßes Durchlichtmikroskop vorgestellt. Ein für die praktische Anwendung besonders wichtiger Aspekt war hierbei jedoch ungeklärt geblieben: Wie benutzt man ein Mikroskop, das anscheinend keinerlei Möglichkeit bietet, auch nur einen schnöden Objektträger einzulegen? Der bidliche Vergleich mit einem anderen Kleinmikroskop, dem KOSMOS-Taschenmikroskop ist wohl am besten geeignet, um diese Problematik zu veranschaulichen:


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Abb. 1: Links im Bild das klassische KOSMOS Taschenmikroskop samt eingelegtem Objektträger und rechts das von uns neu präsentierte, sehr viel kleinere, nur knapp 3 cm hohe Winzmikroskop ohne Objektträgerschlitze. Und nein, Ihr Monitor ist nicht defekt: Wir haben dieses Bild nach Schwarzweiss konvertiert, ganz einfach weil seine farbige Variante mit einem nicht mehr korrigierbaren Farbverzug nervte.

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Abb. 2: Das Winzmikroskop besteht aus zwei ineinanderschiebbaren Röhren. Die obere Röhre enthält, nicht weiter überraschend, die bereits in den vorigen Journalen gezeigte Optik, eine halbkugelige Linse. Sehr viel ungewöhnlicher ist jedoch die hier abgebildete, untere Röhre mit einer Art gläsernem Objekttisch und einem zentrisch eingefrästen, mattierten Ring, der vermutlich als Positionierhilfe für das Präparat gedacht ist. Was nun? Einfach Tropfen druff?

Am dieser Stelle hilft ein Blick über den Zaun, zurück in die 1920er Jahre, als sich Deutschland nach einem blutdurchtränkten Krieg in einer Wirtschaftskrise befand. Die meisten Schüler- und Hobbymikroskope waren in dieser Zeit, gemessen an heutigen Maßstäben geradezu unvorstellbar primitiv. Und selbst die unschuldige Existenz dieser weiß Gott nicht luxuriösen Gerätes glaubte man noch rechtfertigen zu müssen. So steht im Prospektblatt eines MIFALU-Kleinmikroskopes (Mikroskop-Fadenzähler-Lupe) Folgendes zu lesen:

"Im naturkundlichen Unterricht sollen die Kinder angeleitet werden, die Dinge, das Leben, und die Vorgänge in der Natur zu beobachten und zu beurteilen, damit sie Freude an der Natur gewinnen, ein bescheidenes Maß von Naturkenntnis und -verständnis erlangen und befähigt werden, das Erkannte im Leben zu verwerten. In der Natur- und Pflanzenkunde liegt der Schwerpunkt nicht in der zergliedernden Beschreibung, sondern in der Beobachtung der Lebensvorgänge und ihrer ursächlichen Verknüpfung mit dem Bau der Pflanzen und Tiere und in den Hinweisen auf die landwirtschaftliche Verwertung und volkswirtschaftliche Bedeutung der Naturerzeugnisse [...] Mikroskope bis 2875 fache Linear-Vergrößerung äußerst preiswert."

Im Vordergrund stand somit weniger die (als wohl eher nichtsnutzig verstandene) Freude an der Beobachtung der Lebensvorgänge, sondern der wirtschaftliche Nutzwert. Kein Wunder, nachdem die Patronen verschossen waren, hatte man schlichtweg nicht genug zu essen. Es erstaunt unter diesen Umständen nicht, dass man bei manchen der billigeren Taschenmikroskope auch noch die Federmechanik und die Schlitze für die Objektträger einsparte:


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Abb. 3: Dieses MIFALU hat, obwohl deutlich größer als unser Winzmikroskop, ebenfalls keine Objektträgerschlitze.

Es besteht im Wesentlichen aus zwei ineinander geschobenen Messingrohrhülsen und diversen Holzscheibchen samt den einfachen Linsen:


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Abb. 4: DAS MIFALU - ohne Objektträgerschlitze. Links das Unterteil mit einer Lupenlinse für schwache Vergrößerung, rechts das Oberteil mit dem eigentlichen Mikroskop.

Die obere Hülse mit der Mikroskopoptik lässt sich noch weiter zerlegen, und siehe da, sie enthält eine kreisrunde Glasscheibe, die in der Anleitung als "Objektglas" bezeichnet wird! Ade, rechteckige Objektträger ...


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Abb. 5: Zerlegtes Oberteil des MIFALU. Die runde Glasscheibe unten ist nun eben ein "Objektträger". Damit müssen wir uns wohl oder übel abfinden.

Auch am Winzmikroskop können demnach definitiv keine rechteckigen Objektträger eingesetzt werden. Statt dessen müssen wir lernen, mit der vorhandenen Substanz zu wirtschaften. So, und jetzt endlich Tropfen druff?

Aus Angst um unser seltenes Gerät haben wir schließlich, ganz im Sinne des MIFALU, mit zusätzlichen, runden 12 mm Deckgläsern gearbeitet. Jeweils eines dient hierbei als Objektträger und eines als Deckglas. Auf diese Weise bleibt dem Winzmikroskop der direkte Kontakt mit flüssigen Präparaten erspart und wir erhalten ein ideal planparalleles Flüssigkeitsvolumen zwischen den beiden Deckgläsern. Obendrein können wir natürlich sehr spezielle Dauerpräparate aus zwei Deckgläsern herstellen. Auf diesem Weg entstand das bereits im letzten Journal gezeigte Foto mit den Amaryllispollen:


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Abb. 6: Amaryllis-Pollen, durch das Winz-Mikroskop fotografiert. Das Präparat besteht aus einem runden 12 mm Deckglas als Objektträger, darüber die Amaryllispollen, einfach trocken eingebettet in Kunstharz (Euparal) und obenauf nochmal ein Deckglas. Kamera Sony Nex-5N mit altem 50er Fotoobjektiv in Unendlichstellung, Dia-Leuchtpult als Durchlichtquelle, keine weiteren Adaptionstricks. Die Pollen eignen sich gut für Vergrößerungsvergleiche, weil sie ziemlich genau 0,1 mm lang sind. Übrigens somit deutlich kleiner als ein typisches Bärtierchen mit einer Körperlänge zwischen 0,3 und 0,5 mm.

Und wo sind sie nun, die versprochenen Bärtierchen-Ergebnisse am Winzmikroskop? Sorry, nächstes Mal ...



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach