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Das MBS-10 Stereomikroskop (II)

Wie bereits im letzten Journal angekündigt, wollen wir einige Mißverständnisse ausräumen, die das russische Stereomikroskop MBS-10 betreffen.

Hersteller ist, wie bereits erwähnt, nicht  (MBS-10 Irrtum 1) die im Westen gut bekannte Firma LOMO in St. Petersburg, sondern statt dessen die "Fabrik für optische Gläser Lytkarino" (LZOS). LZOS-Optikprodukte zählen, besonders im Bereich der Astronomie, auch heute noch zur Oberklasse. LZOS-Teleskope zeichnen sich durch dementsprechend eindrucksvolle Verkaufspreise aus. Und Lytkarino liegt fernab von St. Petersburg, in der Nähe von Moskau. Der aufgeweckte Mikroskopiker erkennt es auch sofort am Logo - das MBS-10 trägt nun mal kein LOMO-Logo.


[ das MBS-10 Stereomikroskop ]

Das MBS-10 Stereomikroskop

Wenn man als Käufer achtgibt, wird das MBS-10 samt einer reichhaltigen Zubehörbox, allerdings aus arg gruseligem Styropor, geliefert.

Fairerweise sei an diesem Punkt angemerkt, dass auch zeitgleiche Zubehörschachtelpolsterungen eines renommierten westlichen Mikroskopherstellers gelegentlich stark gilbende und zerbröselnde Konsistenz aufweisen.

Der rote Pfeil zeigt auf eine Rändelschraube, die bei Bedarf den Stereokopf freigibt. Vorsicht: die zweite schwarze Rändelschraube unter dem roten Lytkarino-Logo lockert das schwere Hauptobjektiv, welches dann unvermeidlich den Gesetzen der Schwerkraft folgt ...



Mit der 0,6x bis 7x Objektiv-Schaltwalze und den Okularen von 6x bis 14x ergibt sich bereits ein recht ansehnlicher Vergrößerungsbereich von 3,6x bis 98x, der durch zusätzliche Objektiv-Vorsatzlinsen (0,5x und 2x) theoretisch noch nach unten und oben erweitert werden kann. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Vorsatzlinsen nur in Ausnahmefällen Sinn ergeben, normalerweise nur die feine optische Qualität des Hauptobjektivs vermiesen. Deshalb: Finger weg!

Mit dem 2x Vorsatzobjektiv kämen wir auf eine Maximalvergrößerung von 196x. Auf diesem Irrweg ist gut nachvollziehbar, dass manche Nutzer im Internet berichten, die Bildqualität des MBS-10 lasse bei den hohen Vergrößerungen nach (MBS-10 Irrtum 2). In jedem Mikroskopie-Lehrbuch ist nun allerdings nachzulesen, dass bei der - für Stereomikroskope typischen und respektablen - numerischen MBS-10 Objektivapertur von 0,08 eine mehr als 80fache Vergrößerung aus physikalischen Gründen einfach nicht mehr sinnvoll nutzbar ist. Wir erzeugen hierbei nur noch sogenannte Leervergrößerungen, ohne zusätzliche Bilddetails.

Als optimale Standard-Arbeitskonfiguration empfehlen wir die Schaltwalzenstellung 2x in Verbindung mit den 14x Okularen, d.h. eine 28fache Vergrößerung. Die extrem schwache 3,6fache Vergrößerung und alle Vergrößerungen über 28x funktionieren zwar auch, aber mit Verlusten.
Ein Blick in die Innereien des MBS-10 lehrt uns, dass bei der empfohlenen Objektiv2/Okular14-Einstellung die Schaltwalze ohne zusätzlich eingeschobene Zwischenlinsen auskommt, was im Zweifel immer von Vorteil ist.
Auch die Schaltwalzenstellung "7x" ist übrigens durchaus einsetzbar, aber eben sinnvollerweise nicht zusammen mit dem ebenfalls maximal vergrößernden 14x Okular.


[ MBS-10 Stereomikroskop Schaltwalzenstellungen] [ MBS-10 Stereomikroskop Schaltwalzenstellungen]

Blick ins Innere des MBS-10 bei abgeschraubtem Stereokopf: Schaltwalzenstellung 7x

Schaltwalzenstellung 2x, ohne zusätzliche Zwischenlinsen. Dies ist die von uns empfohlene Normalstellung.


Bei einem sauber eingestellten MBS-10 mit 14x Okularen werden sich auch anspruchsvollere Mikroskopiker über das wirklich riesige Gesichtsfeld freuen. Wenn alles stimmt hat man den Eindruck, wie ein Adler über dem Präparat bzw. den Bärtierchen zu fliegen!

Hier allerdings sind wir am alles entscheidenden MBS-10 Irrtum 3 angelangt: Die Bildqualität sei einfach schlecht, mit westlichen Produkten von L, W oder Z rein gar nicht zu vergleichen. Falsch, manchmal auch ein wenig richtig.
Na, was denn nun?

Zunächst einmal gilt es zu verstehen, daß die meisten der heute angebotenen MBS-10 mehrere Jahrzehnte alt sind und teils wirklich übelst geschunden wurden. Wir wissen nicht genau, unter welchen Bedingungen sie beim Zusammenbruch der Sowjetunion in den Westen gelangt sind, wieviele Autotransporte auf staubigen Straßen und wieviele regnerische Flohmarkttage sie überstanden haben könnten.

Eigentlich sind die MBS-10 Mikroskope nicht besonders empfindlich. Unseres ist seit 15 Jahren in Betrieb und hat nicht mal eine Staubhülle, trotzdem erscheint das Bild völlig klar.

Auf dem Gebrauchtmarkt haben wir über die Jahre hinweg allerdings auch gespaltene Fokusknöpfe, hoffnungslos verschmutzte Optiken und übel deformierte Stative gesehen. In einigen Fällen mögen zudem westliche Bastler durch "Justierungen" zusätzliche Schäden verursacht haben. Schauen Sie deshalb immer ganz genau hin (bei Ebay auf die Verkäuferbewertungen) wenn Sie ein MBS-10 kaufen möchten, egal ob gebraucht oder angeblich neu.

Anhand von zwei Beispielen wollen wir zeigen, daß nicht alle Schäden gleich zu gravierenden optischen Mängeln führen und manches mit einfachen Mitteln reparierbar ist.

Schaden 1: Stellenweise verkratztes Hauptobjektiv. Einige MBS-10 Hauptobjektive hat man offensichtlich gelegentlich abstürzen lassen, z.B. auf die Objektträgerklemmen. Das sieht dann so aus, als hätte jemand im Glas herumgemeißelt! Unweigerlich fallen uns an diesem Punkt weißbekittelte Autoritäten ein, die mit sorgenumwölktem Blick verkünden: "Ein verkratztes Objektiv ist für wissenschaftliche Zwecke selbstverständlich absolut unbrauchbar!"
Mag sein, vielleicht aber auch nicht. Wir hatten selbst so ein "gemeißeltes" Objektiv, hatten beim Kauf eben nicht genau genug hingeschaut. Das Bild wirkte deshalb in einem Okular recht flau. Wenn man nun allerdings weiß, daß nur ein kleiner Teil des Hauptobjektivquerschnitts tatsächlich von den Okularen genutzt wird, kann man mit ein wenig Glück das Hauptobjektiv so drehen, dass die verkratzten Bereiche nicht mehr stören - bei uns hat es funktioniert!

Schaden 2: Dejustierte Prismen (Doppelbild, Geisterbild, Kopfschmerzen). Dies ist der wohl häufigste MBS-10 Fehler, erfreulicherweise meist behebbar.
Die Haube des MBS-10 Stereokopfes läst sich nach dem Lösen von drei Schlitzschrauben und dem Abschrauben der beiden Tubusröhren mit Gefühl (!) sanft entfernen. Schauen Sie sich aber bitte vorher die Fotos unten an, damit Sie verstehen, wie das Gelenk der Okular-Abstandsverstellung in seine Pfanne eingreift.


[ MBS-10 Justierhilfe 1 ]

Drei kleine schwarze Schlitzschrauben halten die Haube des Stereokopfes.


[ MBS-10 Justierhilfe 2 ]

Die beiden schwarzen Tubusröhren lassen sich einfach herausdrehen.


[ MBS-10 Justierhilfe 3 ]

Achten Sie beim Abziehen der beigen Kappe auf den Mechanismus der Okularverstellung. Bei vorsichtigem Drehen löst sich der Stift des Gelenks von der Pfanne und die Kappe läßt sich abziehen. Keine Gewalt anwenden!


[ MBS-10 Justierhilfe 4 ]

Die roten Pfeile markieren die beiden Schraubenpaare zur Prismenjustierung.



Die eigentliche Justage ist weniger kompliziert, als man zunächst befürchten könnte. Man löst die vier Prismen-Befestigungsschrauben nur so weit, dass sich die Prismen mit leichtem Druck etwas seitlich verschieben lassen. Da die Prismen auf der Grundplatte aufliegen, erfolgt lediglich eine zweidimensionale Justierung, in der x-y-Ebene. Man bewegt die Prismen ganz einfach vorsichtig und stellt hierbei schnell fest, daß Doppelbild und Kopfschmerzen von heftig bis nicht existent einstellbar sind. Hinterher zieht man die Prismenbefestigungsschrauben (aber bitte nicht bis zum Glasbruch!) fest, achtet beim Zusammenbau darauf, dass das Gelenk schön brav in seine Pfanne findet und zieht zuletzt die drei Schräubchen der Haube fest. Zwischendurch können Sie natürlich bei Bedarf die Glasflächen der Prismen mit einem sauberen Tuch reinigen. Grundsätzlich gilt auch hier: geringe Verschmutzungen stören im Bild nur wenig, eigentlich nur in der Seele des übereifrigen Optikpuristen! Übertreiben Sie nicht.

Wenn dann alles sauber justiert ist, sollten sogar die wirklich winzigen Echiniscus Bärtierchen-"Tönnchen" einigermaßen gut erkennbar sein, etwa so wie auf den beiden folgenden Fotos:


[ Bärtierchen-Tönnchen auf trockenem Moos 1 ]

Bärtierchen-"Tönnchen" auf trockenem Moos. Übersichtsbild, mit Hilfe des MBS-10 Stereomikroskopes aufgenommen. Bildbreite 12 mm.


[ Bärtierchen-Tönnchen auf trockenem Moos 2 ]

Detail von obiger Aufnahme (gleiches Foto, Ausschnittvergrößerung).
Das Tönnchen ist ca. 1/20 mm lang.


Noch ein Rat zum Schluß: Statt der im MBS-10 eingebauten Niedervoltlampe sollten Sie für die Bärtierchenbetrachtung lieber ein Kaltlicht verwenden. Hitze vertragen nämlich nur die Tönnchen, nicht jedoch die lebensaktiven Bärtierchen. Sehr effizient und und geradezu unmoralisch billig ist die im Internet allerorts empfohlene IKEA "Jansjö"-Schwanenhals-LED Lampe. Notfalls geht natürlich auch eine professionelle Kaltlichtlampe zum fünfzigfachen Preis ...



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach