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Lupen für Fortgeschrittene (VII): Brennweitenmessung

Wir bleiben weiterhin verlässlich im Kleinen - ganz einfach weil wir in der größeren Welt ohnehin nichts nennenswert Heilendes 🇺🇦 bewirken können.

Wie im letzten Journal gezeigt, sind die Beschriftungen auf den im Internet gehandelten Lupen alles andere als verlässlich. Obendrein gibt es jede Menge ältere Exemplare ohne jegliche Bezeichnung oder Vergrößerungsangabe. Sobald wir eine Geräte-Eigenschaft nachprüfen oder vergleichen wollen, sind wir deshalb auf eigene Beobachtungen oder Messungen angewiesen.

Die Brennweite von Linsen und Lupen geringer und mittlerer Vergrößerung ist vergleichsweise einfach zu bestimmen (Abb. 1): Man fokussiert einfallendes Sonnenlicht Licht als möglichst kleine Kreisscheibe auf eine helle Fläche und misst den Abstand zwischen Linse und "Lichtpunkt"-Fläche (dieser Abstand entspricht der Brennweite f). Die auf eine menschliche Nahsehweite von 250 mm normierte Vergrößerung V errechnet sich dann, wie allseits bekannt, nach der wirklich einfachen Formel

     V = 250mm / f

Trivial. Man sollte den Lichtpunkt allerdings nicht auf eine brennbare Fläche fokussieren und dann womöglich anschließend Richtung Cafeteria schlendern!


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Abb. 1: Die wohl einfachste Methode zur Bestimmung der Brennweite (und Vergrößerung) einer Lupe. Das Sonnenlicht wurde hier mit Hilfe eines drehbaren Mikroskop-Planspiegels durch eine NoName 10x Lupe (immerhin echtes "Made in Germany" ;-) auf eine nicht brennbare, weiße Fläche fokussiert. Das Millimeterpapier signalisiert einen Abstand von ca. 25 mm zwischen Lichtpunkt und Linsenfassungsmitte (halber Höhe der Fassung). Hieraus errechnet sich - erwartungsgemäß - eine ehrliche Vergrößerung V zu 250 mm / 25 mm = 10.

Wenn wir nun allerdings deutlich stärker vergrößernde Lupen, schlecht zugänglich montierte oder zusammengesetzte Linsensysteme betrachten, ergeben sich bei der wunderbaren Sonnenlichtmethode zusehends Probleme: Die bei hoher Vergrößerung zwangsläufig stark verkleinerte Brennweite führt zu geringeren Messgenauigkeiten, bereits bei der Ablesung der Entfernung auf dem Millimeterpapier. Hinzu kommt, dass nur das eine Ende des Fokalabstands, nämlich der Brennpunkt auf der Projektionsfläche, leicht zugänglich und eindeutig definiert ist. Das andere Ende kann jedoch asymmetrisch in der Linsenfassung montiert, vertieft oder anderweitig messtechnisch schlecht zugänglich sein. All diese Schwierigkeiten nehmen bei höheren Lupenvergrößerungen zu.


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Abb. 2: Messung der Brennweite an einer sehr alten, in Messing und Schildpatt gefassten Einschlaglupe. In diesem Fall lässt sich die wirksame Brennweite - trotz der schon deutlich kleineren Dimensionen - wegen der symmetrischen Bauweise aus zwei sehr ähnlichen Linsen immer noch relativ befriedigend, und zwar als ca. 10 bis 11 mm abschätzen. Der gezeigte Lupen-Oldie kann somit mit einer bereits ziemlich beachtlichen Vergrößerung, nämlich etwa 23x bis 25x aufwarten!

Es bedarf nun keiner besonderen Phantasie um zu erkennen, dass die Sonnenlichtmethode unter noch extremeren Bedingungen, etwa bei der im letzten Journal gezeigten Coddington-Lupe mit nur 3 mm Arbeitsabstand und nicht demontierbarer, vertieft angebrachter Linse ihre Grenzen erreicht.

Folgende, wissenschaftshistorisch interessante Episode mag uns Amateuren gleichermaßen als Anreiz zum eigenen Experimentieren, aber auch als Mahnung zur deduktiven Bescheidenheit dienen:
Lange hatte man über die genaue Beschaffenheit der berühmten "Utrecht"-Linse des Mikroskopie-Urvaters Antoni van Leeuwenhoek gerätselt. Ultraklein ist sie, laut jüngster Neutronentomographie-Messung nur ca. 1,3 mm im Gesamtdurchmesser, in einem kostbaren Originalinstrument von Leeuwenhoek verbaut und dementsprechend unberührbar (das Instrument durfte zur Vermessung der Linse nie demontiert werden!).

Ein ausgefuchster Spezialist, Jan van Zuylen (siehe Link unten), war 1981 auf der Basis fortgeschrittener strahlenoptischer Betrachtungen und experimentell anspruchsvoller Messungen an der schlecht zugänglichen Utrecht-Linse zu dem Ergebnis gelangt, sie sei nicht primitiv-kugelförmig, sondern müsse auf glasbläserischem Weg in eine asphärische Form gebracht worden sein. Antoni van Leeuwenhoek kam deshalb - wenn auch sehr spät und nur vorübergehend - in den Genuss eines weiteren "First", nämlich der Herstellung asphärischer Linsen! Leider kollabierte der so gewonnene Ruhm, als jüngst ein niederländisches Forscherteam [siehe unten, Cocquyt 2021] mit Hilfe der Neutronentomographie nachwies, dass sich van Zuylen anscheinend doch ein klein wenig vermessen hatte. Wie auf dem von Cocquyt publizierten Neutronentomographiebild klar zu erkennen, ist die Utrecht-Linse nämlich doch nur eine schnöde kleine Glaskugel, deren Entstehungsweise sich an Hand eines charakteristischen Glasstielfragments verrät. Sie sieht im x-y-Neutronendurchstrahlungsbild nämlich exakt so aus wie eine neuzeitliche Experimentallinse des Leeuwenhoek-Spezialisten und Mikroskopie-Amateurs Klaus Meyer [Klaus Meyer 1991]:



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Abb. 3: Kleine, einfach durch kurzes Anschmelzen einer Glaskapillare erzeugte Kugellinsen. Geschenk von Dr. Klaus Meyer. Man erkennt die auf genanntem Wege vergleichsweise leicht erzielbare, fast ideale Kugelform, die geringe Größe und den charakteristischen Stielfortsatz. Dieser signalisert, genau wie bei der Utrecht-Linse, plausibel die Entstehungsweise durch behutsames Anschmelzen eines Kapillaren-Endes.

All dies wurde hier nun keineswegs referiert um womöglich Herrn van Zuylen madig zu machen, sondern vielmehr um zu zeigen, dass die Vermessung winziger Lupenlinsen auch für hochkarätige Spezialisten ausgesprochen schwierig ist! Fortsetzung folgt.



Quellennachweis

Cocquyt, Tiemen & Zhou, Zhou & Plomp, Jeroen & Eijck, Lambert (2021). Neutron tomography of Van Leeuwenhoek’s microscopes. Science Advances. 7. eabf2402. 10.1126/sciadv.abf2402. https://backyardbrains.com/experiments/files/1981_Zuylen_The_microscopes_Leeuwenhoek.pdf

Klaus Meyer: Die Geheimnisse des Antoni van Leeuwenhoek. Lengerich 1998.
ISBN 3-931660-89-3.

Jan van Zuylen: The Microscopes of Antoni van Leeuwenhoek.
Journal of Microscopy 121 (1981) 309-328.
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abf2402


Weiterführende Literatur und Internetquellen zu van Leeuwenhoek und seinen Mikroskopen

Brian J. Ford: Single lens. The Story of the Simple Microscope. New York 1985.
ISBN 0-06-015366-0.

Umfangreiche Internet-Quellensammlung für tiefes Schürfen: lensonleeuwenhoek.net
https://www.lensonleeuwenhoek.net



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach