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Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation mit Dr. Rolf Schuster**
Folge #7: Paramacrobiotus richtersi (vormals Macrobiotus richtersi)

Mittlerweile ist es gängige Praxis, jede neue Folge der Taxonomie-Serie mit einem möglichst aussagekräftigen Ganzkörperportrait zu beginnen. Diesmal triumphierte jedoch der Kandidat über die Fotografen. Paramacrobiotus richtersi erwies sich - frei nach Robert Musil - als Mann ohne Eigenschaften:


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Abb. 1: Gesamtansicht eines Paramacrobiotus richtersi-Bärtierchens. Im Auflicht weiß erscheinend. Diese Spezies zeigt leider nur wenig Bein sowie einen äußerlich schwach gegliederten, quasi wurmförmigen Körper. Der Fokus dieser Aufnahme liegt auf der glatten Cuticula (immerhin eine charakteristische Eigenschaft!). Jedoch sind alle Beine vollständig vom Rumpf verdeckt, Kaumagen und Stilette entschwinden in Unschärfe. Es hilft deshalb nichts: Mangels fotografischer Substanz müssen wir uns diesmal die Totale aus den weiter unten gezeigten Detailaufnahmen selbst im Kopf zusammenreimen!

Paramacrobiotus richtersi wurde erstmals 1911 unter dem (ursprünglichen) Namen Macrobiotus richtersi von James Murray, einem schottischen Naturforscher beschrieben.

Murray betrieb seine Forschungen in der Antarktis, im Dschungel an der peruanisch-bolivianischen Grenze und auch in der Arktis, wo er schließlich im Februar 1914 während einer Expedition verschollen ging.

In seinem emsigen Mikrofauna-Forscherleben charakterisierte er eindrucksvolle 113 Rädertierarten und 66 Bärtierchenarten. Murray benannte die von ihm entdeckte Art nach dem deutschen Bärtierchenforscher Professor Ferdinand Richters (1849-1914), dessen Arbeit hier im Journal bereits im Januar 2011 gewürdigt wurde.

Paramacrobiotus richtersi gehört zu den stattlicheren Bärtierchenarten, mit einer Größe bis zu 800 µm. Es erstaunt nicht, dass dieses verhältnismäßig große Bärtierchen sich nicht nur pflanzlich, sondern bei Gelegenheit auch räuberisch, von anderen Kleinlebewesen ernährt:


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Abb. 2: Paramacrobiotus richtersi bei der Attacke auf einen Fadenwurm (Nematoden). Trotz der technischen Schwiergkeiten bei derartigen Lebendaufnahmen illustriert das Foto deutlich, wie die dünne Speiseröhre des Nematoden seitlich aus seinem Körper herausgerissen und in den Schlund des Bärtierchens eingesogen wird!

Ursprünglich war die Art Mitglied des Genus Macrobiotus, erst 2009 ordnete sie der italienische Bärtierchenforscher Roberto Guidetti in die neu geschaffene Gruppe Paramacrobiotus als "Leitart" ein [Guidetti 2009].

Die Aufsplittung von Macrobiotus und Paramacrobiotus erfolgte auf der Basis neuer genetischer Methoden in der Artbeschreibung. Im Lauf der folgenden Jahre füllten sich die beiden neuen Genera mit zahlreichen zusätzlichen Arten. Die Unterscheidung zwischen Paramacrobiotus- und Macrobiotusgruppe ist unter dem Mikroskop vergleichsweise einfach: Die Kutikula von Paramacrobiotus hat keine Poren und sein Mikroplakoid ist weit von der Makroplakoidreihe abgesetzt (siehe Abb. 3).


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Abb. 3: Vorderleib von Paramacrobiotus richtersi. Man beachte die extrem glatte Kutikula sowie den art- und genuscharakteristischen, relativ großen Abstand zwischen den (großen) Makroplakoiden und den (winzigen) Mikroplakoiden im Kaumagen. Kräftige, stark gekrümmte Stilette. Bei extrem hoher mikroskopischer Auflösung sind im vorderen Bereich der Mundröhre winzige lamellen- und "zähnchen"-besetzte Ringe zu erkennen.

Die Krallen erscheinen verhältnismäßig zierlich und zeigen das bereits im Januar bei der Vorstellung von Macrobiotus hufelandi genauer besprochene Muster.


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Abb. 4: Hinterleib von Paramacrobiotus richtersi mit verhältnismäßig kleinen, symmetrischen Krallenpaaren vom sogenannten Macrobiotus-Typ.


Das unverwechselbare Aussehen der einzeln frei abgelegten Eier von Paramacrobiotus richtersi ist zur sicheren Erkennung der Art besonders hilfreich: Die Ei-Ausschüsse stehen dicht und sind konisch zugespitzt (siehe Abb. 5), ihre Oberfläche präsentiert sich in charakteristischer Weise als grob parzelliert (Abb. 6):


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Abb. 5: Ei von Paramacrobiotus richtersi, Fokus auf die äußeren Ei-Ausschüsse.
Gesamtdurchmesser ca. 80 µm.

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Abb. 6: Ei von Paramacrobiotus richtersi, Fokus auf die Ei-Oberfläche.


Last but not least sei auf das, neben dem Makroplakoidmuster wohl einfachste Indiz zur taxonomischen Artbestätigung hingewiesen: Paramacrobiotus richtersi erscheint immer als quasi blind, hat nie Augenflecken (vgl. Abb. 3)!

Die Art wird typischerweise in nicht allzu stark austrocknenden Moosen gefunden, z.B. auf dem Moosbewuchs von Baumrinden.


Anmerkungen und Literatur

(*) Der Bärtierchenspezialist, Partner und Co-Autor dieser Taxonomie-Serie, Dr. Rolf Schuster, berät Sie gerne bei tiefer schürfenden taxonomischen Fragestellungen und bei der Bestimmung der von Ihnen gefundenen Bärtierchen. Schreiben Sie einfach eine Mail an Rolf Schuster !

(*) Ab sofort gibt es einen, quasi mitwachsenden Bärtierchen-Bestimmungsschlüssel aus der Hand von Dr. Rolf Schuster: Hier geht es zum aktuellen Schlüssel !

Hartmut Greven (2018), From Johann August Ephraim Goeze to Ernst Marcus: A Ramble Through the History of Early Tardigrade Research (1773 until 1929).
In R. O. Schill (Ed.), Water Bears: The Biology of Tardigrades (pages 1-55). Springer, Cham.

Roberto Guidetti, Ralph O. Schill, Roberto Bertolani, Thomas Dandekar u. Matthias Wolf (2009), New molecular data for tardigrade phylogeny, with the erection of Paramacrobiotus gen. nov., Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research,
doi: 10.1111/j.1439-0469.2009.00526.x

Walter Maucci (1986), Tardigrada, S. 202-204.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach