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Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation
mit Dr. Rolf Schuster** |
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Abb. 1: Totalportrait des Ramazzottius oberhaeuseri. Körperlänge knapp 0,4 mm (typisch sind ca. 0,3 bis maximal 0,5 mm). Ältere Namen waren Macrobiotus oberhaeuser(i) und Hypsibius oberhaeuseri. Auch die Schreibweise mit Umlaut (oberhäuseri) findet man gelegentlich, vorwiegend in der deutschsprachigen Literatur. Ein weiteres charakteristisches Artmerkmal sei hier gleich vorweggenommen: Bei Ramazzottius oberhaeuseri wird man nie Augenflecken (Sehzellenpigment) finden. |
Ramazzottius oberhaeuseri wurde - sicherlich wegen seiner attraktiven Schotten-Pigmentierung - bereits in 19. Jahrhundert, aber auch noch im 20. Jahrhundert als quasi buchdruck-farbwürdig erachtet. So findet sich auch im liebevoll gestalteten Tardigradenbuch des Raoul-Michel May folgendes, von Künstlerhand erstelltes Bild: |
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Abb. 2: Totalportrait des Ramazzottius oberhaeuseri, aus Raoul-Michel Mays "La vie des Tardigrades". Diese Mikrofauna-Charakterstudie erfasst die rundlich-kraftvoll anmutendende Körperform ausgesprochen treffend. Sie basiert anscheinend auf einer noch älteren Darstellung (vielleicht einem Aquarell) von Urbanowicz. Zur braunen bis rotbraunen Bänderung findet sich in der Fachliteratur ergänzend die schulmäßig-numerische Präzisierung, dass das Muster typischerweise aus 8 bis 9 horizontalen Reihen, in ca. 5 vertikalen Spalten, bestünde. Jungtiere sind normalerweise noch deutlich blasser pigmentiert. |
Auch wenn beide obige Totalen mit dem Ziel einer anatomisch korrekten Darstellung angefertigt wurden, zeigt sich, genau wie beim Menschen, auch beim Bärtierchen die klassische Kluft zwischen ganzheitlichem Portrait und anatomischer Detailtreue: In den Ganzkörperbildern sind die taxonomisch wichtigen Schlundkopf- und Krallenausformungen bei weitem nicht so gut ablesbar wie in eigens erstellten, höher aufgelösten Detail-Abbildungen (vgl. Abb. 3 und 4). |
Der Schlundkopf offenbart unter günstigen Bedingungen - bei schwacher Pigmentierung - ein Muster, das an die "4" eines Spielwürfels erinnert (Abb. 3). Er enthält pro Spalte zwei annähernd erbsenrunde Makroplakoide (zu sehen sind hier, wie üblich, lediglich zwei der drei Makroplakoidspalten mit jeweils zwei Makroplakoiden, die dritte Spalte liegt im Hintergrund, bereits außerhalb der Schärfe-Ebene): |
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Abb. 3: Vorderkörper des Ramazzottius oberhaeuseri mit schwach ovalem bis kugeligem Schlundkopf. Die Speiseröhre ist mit ca. 1 µm Durchmesser extrem schlank. Hier passt nur fein zerteilte Nahrung durch - es ist von Pflanzensaft bzw. Pflanzenbrei auszugehen, was sicherlich nicht für ein räuberisches Bärtiertierchen im Stile von Milnesium tardigradum spricht! Bildbreite knapp 100 µm. |
Die, an allen Beinen ähnlichen Krallenpaare vom Ramazzottius-Typ sind asymmetrisch gestaltet. Bereits bei relativ niedriger mikroskopischer Auflösung lassen sich die überlangen Hauptäste der Außenkrallen erkennen. Bei stärkerer Vergrößerung (Abb. 4) wird klar, dass diese Krallenäste über ein flexibles Gelenk mit der jeweiligen Krallenbasis (dem Krallenstamm) verbunden sind. Dies ist das gemeinsame Gruppen-Charakteristikum des Genus Ramazzottius. |
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Abb. 4: Eines der beiden Krallenpaare am letzten Beinpaar
des Ramazzottius oberhaeuseri. Der rote Pfeil zeigt auf das genuscharakteristische,
hier löffelförmig erscheinende Krallenarmgelenk des Außenkrallen-Hauptastes.
Dieser verharrt im Ruhezustand gestreckt, kann bei Belastung jedoch federnd ausweichen.
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Die Eier von Ramazzottius oberhaeuseri werden, einzeln oder in geringer Zahl aneinander haftend, frei im Wasser deponiert. Sie sind verhältnismäßig klein (ca. 50 µm) und zeichnen sich durch eine charakteristische Irregularität aus: Während der Großteil der Ei-Ausschüsse halbkugelig geformt erscheint, zeigen sich in der Regel auch vereinzelte, spitz konisch zulaufende Ei-Ausschüsse (siehe Abb. 5, 6 und 8): |
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Abb. 5: Reifes Ei des Ramazzottius oberhaeuseri. Durchmesser ca. 50 µm. Die meisten Ei-Ausschüsse sind annähernd halbkugelig geformt, mit linsenartig erscheinender Verdickung an der Außenseite. |
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Abb. 6: Detail eines Eis von Ramazzottius oberhaeuseri mit regulärem und irregulärem (spitz zulaufendem) Ei-Ausschuss. Bildbreite ca. 20 µm. Im Innenvolumen ist ein bereits fertig ausgebildeter Mundapparat mit Speiseröhre und Stiletten zu sehen. Hier zeigen sich auch bereits die Makroplakoide in der oben beschriebenen, symmetrischen Viererkonfiguration. |
Eine der besten Artbeschreibungen des Ramazzottius oberhaeuseri findet sich in Lucien Cuénots (1866-1951) Tardigraden-Monographie von 1932. Die darin abgedruckten Zeichnungen sind derart gut, dass wir sie unserer treuen Leserschaft nicht vorenthalten wollen: |
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Abb. 7: Letztes Beinpaar des Ramazzottius oberhaeuseri. Auch hier ist die flexible Anbindung der überlangen Außenkrallenäste gut erkennbar. Weiterhin hat der Zeichner eine Granulation der Cuticula erfasst, die bei hoher Auflösung im Lichtmikroskop in der Regel deutlich sichtbar ist. Abbildung aus [Cuénot 1932]. |
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Abb. 8: Schlundkopf (links) und Ei (rechts)
des Ramazzottius oberhaeuseri.
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Sonstiges und teils gar nicht mal so Unwichtiges: Ramazzottius oberhaeuseri ist weltweit verbreitet, tritt beispielsweise regelmäßig am Erdboden auf abgeworfenem Herbstlaub auf, findet sich ansonsten eher in trockeneren Lebensräumen, wie periodisch austrocknenden Mauermoosen. Die Art zählt zu den Erstbesiedlungspionieren auf kargen Oberflächen, wie z.B. porösem Gestein ohne nennenswerten Moosbewuchs. |
Ramazzottius oberhaeuseri widerfuhren mehrere taxonomische Umtaufen:
Louis Doyère hatte ihn 1840 als Macrobiotus oberhaeuser erstbeschrieben, wohl zu Ehren
des deutsch-französischen Mikroskopherstellers Georg Oberhäuser (1798-1868), der laut Wikipedia
1816 nach Frankreich auswanderte und dort als Georges Oberhaeuser bekannt und berühmt wurde. |
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Abb. 9: Ein mutmaßlich oberhaeuseri-Verwandter aus Bamiyan (Afghanistan). Man beachte die ausnehmend langen Krallenäste im Vergleich mit Abb. 1 und Abb. 2. |
Anmerkungen und Literatur |
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© Text, Fotos und Filme von Martin Mach |