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Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation mit Dr. Rolf Schuster**
Folge #15: Echiniscoides sigismundi

In einer Taxonomie-Serie über Bärtierchen dürfen auch die marinen Arten selbstverständlich nicht fehlen. Die Spezies Echiniscoides sigismundi eignet sich gut zum Einstieg, weil sie sehr selektiv einen kleinen Übergangsbereich zwischen Süß- und Salzwasser bewohnt - und zwar ausschließlich grüne Enteromorpha-Algen am Spülsaum des Meeresrands. Man könnte diese Lebewesen deshalb mit Wanderern vergleichen, die auf halber Strecke zwischen zwei Welten angehalten haben und dann einfach am Ort ihrer Wahl sesshaft wurden.


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Abb. 1: Portrait eines Echiniscoides sigismundi. Die Bärtierchenforschung unterscheidet mittlerweile eine Reihe von weltweit verstreuten Echiniscoides-Unterarten, auf die wir hier leider nicht eingehen können. Die ausgeprägt gelappte Umrisslinie des Darms gilt als artcharakteristisch. Das abgebildete Exemplar ist ca. 300 µm lang. Cuénot 1932 nennt als maximale Körperlänge 340 µm [Cuénot 1932].

Unsere Echiniscoides-Exemplare fanden wir vor vielen Jahren im Hafenbereich von Lissabon, auf den dort in großer Menge wachsenden Enteromorpha-Algen.


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Abb. 2: Fundsituation der hier gezeigten Echiniscoides sigismundi in Lissabon. Die grünen Betonflächen im Bild sind praktisch ausschließlich von Enteromorpha-Algen bedeckt.

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Abb. 3: Und so schaut dieser Wohnort - gleichzeitig die Lieblingsspeise von Echiniscoides sigismundi - bei näherer Betrachtung unter dem Stereomikroskop aus.

Echiniscoides hat eine Vielzahl taxonomischer Eigenarten, die sich allerdings fotografisch nur mit Hilfe von geradezu unanständig vielen Fotos darstellen lassen. Deshalb drängt sich - wieder einmal - die bequeme Alternative auf, all diese Merkmale mit Hilfe einer Zeichnung unseres französischen Bärtierchen-Lieblingsautors Lucien Cuénot gemeinsam zu zeigen:


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Abb. 4: Die taxonomischen Merkmale eines Echiniscoides sigismundi-Weibchens.
Bildquelle [Cuénot 1932].

A: Seitliches Filament mit kleiner, rundlicher "Clava" an der Basis
an: Anus
bp: Krallendrüse
cb: Kleine Filamente (Cirren) im Mundbereich
ep: Stacheln an den Beinen
g: Eierstock. Direkt darunter, mit gelappter Umrisslinie, Magen
p: Papille am 4. Beinpaar.

Zum fotografischen Vergleich mit den zeichnerischen Details seien hier zwei alte Fotos aus dem Jahr 2006 beigefügt, welche die Cuénot-Zeichnung lediglich punktuell ergänzen:


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Abb. 5: Der herzförmige Kaumagen von Echiniscoides sigismundi mit direkt anbindenden, geraden Stiletten. Makro- und Mikroplakoide fehlen. Die beiden winzigen Cirren sind hier gut zu sehen. Schwarzes Augenpigment ist stets vorhanden.

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Abb. 6: Echiniscoides sigismundi hat geradezu unheimlich viele, sich fächerförmig aufspreizende Krallen. Die Krallenzahl ist unterschiedlich, wohl abhängig von der exakten Subspezies und dem individuellen Alter, bis zu elf Stück pro Bein - macht nach Adam Riese maximal 88 Krallen pro Tier!

Laut Literatur legt Echiniscoides sigismundi glattschalige Eier frei im Wasser ab. Dies ist ein markanter Unterschied zu den terrestrischen Tardigraden, bei denen glattschalige Eier normalerweise in einer schützenden Cuticula (der nach der Häutung abgeworfenen, alten Haut) abgelegt werden.
Leider sind winzige transparente Kügelchen zwischen den Enteromorpha-Algen nicht leicht zu finden ...


Spezieller Taxonomisches
Der Genusname Echiniscoides leitet sich anscheinend von dem hier bereits diskutierten Genus Echiniscus ab, dessen Namen wir als "igelähnlich" interpretiert hatten. Das "sigismundi" markiert wieder mal ein Patronym, ist somit einer prominenten Person gewidmet, in diesem Fall dem Entdecker, Max Johann Sigismund Schultze (1825-1874). einem prominenten Zoologen. Schultze publizierte seine Entdeckung von Echiniscoides sigismundi 1865, starb dann leider bereits ein knappes Jahrzehnt später, mit nur 49 Lebensjahren, an einem Zwölffingerdarmgeschwür.



Anmerkungen und Literatur

(*) Der Bärtierchenspezialist, Partner und Co-Autor dieser Taxonomie-Serie, Dr. Rolf Schuster, berät Sie gerne bei tiefer schürfenden taxonomischen Fragestellungen und bei der Bestimmung der von Ihnen gefundenen Bärtierchen. Schreiben Sie einfach eine Mail an Rolf Schuster !

(*) Ab sofort gibt es einen, quasi mitwachsenden Bärtierchen-Bestimmungsschlüssel aus der Hand von Dr. Rolf Schuster: Hier geht es zum aktuellen Schlüssel !


Lucien Cuénot (1932), Tardigrades, S. 33-34.

Hartmut Greven (1980), Die Bärtierchen.

Hartmut Greven (2018), From Johann August Ephraim Goeze to Ernst Marcus: A Ramble Through the History of Early Tardigrade Research (1773 until 1929).
In R. O. Schill (Ed.), Water Bears: The Biology of Tardigrades (pages 1-55). Springer, Cham.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach