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Lupen für Fortgeschrittene (XXIV)
Die Brücke'sche Lupe - eine prominente Sackgasse

Ernst Wilhelm von Brücke (1819-1892) brachte im Jahr 1851 die nach ihm benannte "Brücke'sche Lupe" (auch Brück'sche Lupe) zur Produktionsreife. Nur in relativ wenigen Fällen gelang es den jeweiligen Erfindern, ihren Eigennamen, wie hier geschehen, im Namen einer Lupe zu verewigen.


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Abb. 1: Brücke'sche Lupe von Zeiss, um 1900.
Vernickeltes und partiell geschwärztes Messing. Höhe, je nach Tubusauszug 7,5-11 cm, Gewicht 148 g.

Eine Zeichnung der in Abb. 1 gezeigten, breiteren Variante der Lupe findet sich beispielsweise im Carl Zeiss Mikroskopie-Katalog von 1889. Sie ist dort als das teurere Modell, mit achromatischem Doppelobjektiv und besonders großer Öffnung (28 mm) zu einem Preis von stolzen 30 Goldmark gelistet.
Seitlich am breiten Tubusteil der Lupe - hier nicht gezeigt - findet sich ein einfaches 3 mm Innen-Feingewinde, welches zur Befestigung an einem, im Katalog optional angebotenen, ziemlich wackelig anmutenden Gelenkstativ-Gestänge gedacht ist.



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Abb. 2: Oberteil der Brücke'schen Lupe mit halb ausgezogenem Schiebetubus. Merkwürdigerweise sind am Schiebetubus keine Markierungen zur präzisen Dokumentation der jeweils wirksamen Vergrößerung angebracht - und dies im Deutschen Kaiserreich!

Beim Blick auf die alten, gravierten Inschriften kommt unweigerlich Wehmut auf. Der besonders liebevoll eingedrillte Schnörkel am Fuß des Jena-"J" ist uns deshalb eine eigene Abbildung wert:


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Abb. 3: "Carl Zeiss, Jena."-Signatur auf der Brücke'schen Lupe. Penible Interpunktion bei einer Optik-Signatur - alle Achtung!


Je nach Tubusauszug erreicht man mit diesem Gerät eine 5- bis 10-fache Vergrößerung, bei aufrechtem (nicht auf dem Kopf stehenden) Bild und einem freien Arbeitsabstand von üppigen 9 Zentimetern. Somit ein stufenloses Zoom ;-)
Leider fällt das Sehfeld erschreckend klein aus: ca. 15 mm bei 5-facher Vergrößerung und ca. 10 mm bei 10-facher Vergrößerung.



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Abb. 4: Querschnitt durch die schmalere Variante einer Brücke'schen Lupe [Carpenter 1891, S. 38]. Das Vergrößerungsobjektiv (unten im Tubus) besteht aus zwei großen achromatischen Dubletts mit fixem Abstand. Ganz oben, am oberen Ende des ausziehbaren Tubusteils, befindet sich ein weiteres, achromatisches Dublett, das in der Summe als Zerstreuungslinse wirkt.
Das Gesamtsystem ähnelt in seiner Wirkung einem sogenannten Galilei'schen Fernglas, der Standardausrüstung im klassischen Opernglas. Es bestehen jedoch einige Unterschiede: Das frontseitige Vergrößerungsobjektiv weist bei der Brücke'schen Lupe eine deutlich kürzere Brennweite auf. Selbstverständlich ist zur Betrachtung der singenden Herrschaften in einer Oper auch kein sechslinsiges System erforderlich, weshalb die Tuben der meisten klassischen Operngläser deutlich einfacher konstruiert sind.



Warum sich die Brücke'sche Lupe - trotz ihres berühmten Erfinders und gut klingenden Eigennamens - letztendlich nicht durchsetzen konnte? Nüchtern betrachtet eignet sie sich heutzutage vor allem zur Illustration, wie schwer es unsere Vorfahren ohne preiswerte Stereomikroskope hatten! Das aufrechte Bild und der große Arbeitsabstand können nicht darüber hinwegtrösten, dass das Sehfeld extrem klein ausfällt und das Seherlebnis naturgemäß nur monokular, nicht stereoskopisch sein kann. Trotz des hier zu konstatierenden, hohen optischen und feinmechanischen Aufwands erscheint uns praktisch jedes heute angebotene, einfache Stereomikroskop als Arbeitsinstrument haushoch überlegen!



Quellen und Literatur

Wikipedia Eintrag "Ernst Wilhelm von Brücke".

Carl Zeiss Mikroskopie-Katalog (1889), S. 90: Textbeschreibung der Brücke'schen Lupe.

William Carpenter: The Microscope and its Revelations. London 1891, S. 38.

Ergänzender Hinweis zur Vertiefung: Der Strahlengang in der Brücke'schen Lupe wird in einem YouTube-Video von Stephan Mueller ("Brücksche Lupe") sehr schön anschaulich grafisch erklärt, was wir hier nicht einmal ansatzweise zu leisten vermögen.



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach