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Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation mit Dr. Rolf Schuster**
Folge #14: Hypsibius exemplaris (und Hypsibius dujardini)

In der Titelzeile stehen diesmal ausnahmsweise gleich zwei Süßwasser-Spezies - ganz einfach, weil sie eng verwandt und für den Mikroskopie-Amateur visuell kaum unterscheidbar sind - siehe [Gąsiorek 2018].

Was die beiden Arten jedoch markant unterscheidet, ist ihre Verfügbarkeit: Hypsibius dujardini begegnet uns beim sporadischen Tümpeln nur selten, Hypsibius exemplaris ist hingegen - dank Gerald Helbigs lebendkulturen.de - sehr komfortabel und in großer Menge frei Haus lieferbar!

Deshalb zeigen die folgenden Abbildungen Hypsibius exemplaris aus Gerald Helbigs Kulturansatz.


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Abb. 1: Gesamtansicht von Hypsibius exemplaris in der Kultur, beim Fressen der als Futter dienenden Chlorococcum sp. Algen. Die Spezies ist lediglich mittelgroß. Obwohl Literatur- und Internetbeschreibungen Maximalgrößen von bis zu 500 µm verbuchen, liegen die von uns beobachteten Höchstwerte bei ca. 350 µm.

Exkurs: Die Eigenheiten einer Bärtierchenkultur
Eine Kultur bietet wegen der großen Anzahl an Individuen (Hunderte bis viele Tausende!) die Möglichkeit, gleichzeitig unterschiedliche Lebenssituationen zu beobachten. Hier lässt sich jedoch auch die klassische Ablenkungs- und Schutzfunktion eines Schwarms nachvollziehen: Die Vielzahl der herumwuselnden Tardigraden irritiert enorm, wodurch die Entscheidung schwerfällt, ein ganz bestimmtes einzelnes Tier zur genaueren Beobachtung herauszupipettieren - Haie und Barrakudas werden an dieser Stelle verständnisvoll nicken!

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Abb. 2: Blick in eine Hypsibius exemplaris-Kultur. Im gezeigten Bildausschnitt befinden sich etwa ein Dutzend Tardigraden und eine Handvoll Gelege. Etwas unterhalb der Bildmitte wird gerade - zeitaufwändig-mühevoll - eine Cuticula mit drei Eiern abgestreift.
Somit ein rührendes Mikro-Universum des Lebens, garantiert frei von Wutbürgern, Religionsfanatikern und verlogenen Machtmenschen!
Behelfsmäßige Dunkelfeld-Aufnahme im Stereomikroskop. Gesamtbildbreite 2,8 mm.

 


Hat man dann erst einmal einige der Tardigraden gezielt herauspipettiert, lassen sich die individuellen Unterschiede sehr viel genauer studieren:

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Abb. 3: Aus der Kultur herauspipettierte Hypsibius exemplaris Individuen im großen Mikroskop. Man beachte den individuell unterschiedlich erscheinenden (unterschiedlich weit verdauten) Mageninhalt.


Abb. 4 zeigt den Hypsibius exemplaris Vorderleib mit ovalem Schlundkopf und den großen, schwarzen Augen.


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Abb. 4: Vorderleib von Hypsibius exemplaris mit großem, bohnenförmigem Augenpigment, seitlich ausgreifenden Apophysen am hinteren Ende der Speiseröhre, zwei Spalten mit jeweils zwei Makroplakoiden, sowie einem zwar meist vorhandenen, jedoch hier nur schlecht sichtbaren Mikroplakoid (besser erkennbar in Abb. 8).

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Abb. 5: Der Hinterleib von Hypsibius exemplaris mit typischen Krallen vom Hypsibius-Typ.

Für die Freunde vertiefter Krallenverzweigungsbetrachtungen zeigen wir ein Krallenbild mit etwas höherer Auflösung:


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Abb. 6: Die Krallen des letzten Beinpaares von Hypsibius exemplaris in höherer Auflösung. Man beachte die artcharakteristische, kurze Kutikularleiste zwischen den Krallenwurzeln. Eine noch nicht geshredderte Chlorococcum-Futteralge steht als "grüner Planet" links oben mit im Bild.

In unserer Hypsibus exemplaris Kultur ließen sich Gelege mit bis zu 8 Eiern finden. Diese sind glattschalig und werden, wie bei den Hypisibien üblich, während der Häutung in der abgestreiften Cuticula zurückgelassen.


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Abb. 7: Dunkelfeld-Aufnahme eines Hypsibus exemplaris Geleges. In der Kultur sind regelmäßig synchrone Gelege-Füllungen zu beobachten: Zeitweise finden sich Gelege mit nur einem oder zwei Eiern, dann wieder vorrangig solche mit drei und vier Eiern, unter günstigen Bedingungen aber auch regelrecht vollgestopfte Cuticulae wie die hier gezeigte.

Wie gewohnt zeigt das bildlich weniger attraktive Hellfeld noch mehr Details:


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Abb. 8: Detailaufnahme von reifen Hypsibius exemplaris Eiern im Gelege. Hier sind neben den Makroplakoiden auch die Apophysen (Verbreiterungen am hinteren Ende der Speiseröhre) sowie das oben erwähnte Mikroplakoid gut zu sehen.


Spezieller Taxonomisches
Hypsibius dujardini zählt zu den frühest beschriebenen und häufig abgebildeten Bärtierchen-Arten. So findet sich beispielsweise auch im Bildteil der Tümpler-Bibel "Leben im Wassertopfen" eine besonders gut gelungene Aufnahme, die Hypsibius dujardini beim Anstechen eines Algenfadens zeigt.
Da zur Entdeckungszeit das Genus Hypsibius noch nicht erdacht war, erhielt die 1840 von Félix Dujardin erstbeschriebene Art zunächst den Namen Macrobiotus dujardini. Sehr viel später, und lange nach der Umtaufe zu Hypsibius dujardini fiel auf, dass die frühen Beschreibungen dieser Spezies widersprüchlich sind. So kam es sehr gelegen, dass im Jahr 2018 aus dem dujardini-Artenkomplex die besser definierte Spezies Hypsibius exemplaris genanalytisch abgespalten werden konnte. Durch diesen Artnamen sollte Hypsibius exemplaris sozusagen als Bärtierchen-Prototyp gelabelt werden. Wer nun womöglich argwöhnt, dass der neue Name Programm für allzu bequeme Verfügbarkeit und anschließende experimentelle Massenvernichtung sein könnte (quasi als Bärtierchen-Labormaus), der liegt wohl nicht ganz falsch.

Der Artname Hypsibius dujardini hat übrigens mit dem, aktuell von Roberto Guidetti und Ralph Schill etablierten Ramazzottius kretschmanni die Eigenschaft eines sogenannten "Patronym"-Namens gemeinsam, d.h. einem zu Ehren einer bestimmten Person etablierten Taxon (dem Zoologen Félix Dujardin bzw. dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gewidmet).



Anmerkungen und Literatur

(*) Der Bärtierchenspezialist, Partner und Co-Autor dieser Taxonomie-Serie, Dr. Rolf Schuster, berät Sie gerne bei tiefer schürfenden taxonomischen Fragestellungen und bei der Bestimmung der von Ihnen gefundenen Bärtierchen. Schreiben Sie einfach eine Mail an Rolf Schuster !

(*) Ab sofort gibt es einen, quasi mitwachsenden Bärtierchen-Bestimmungsschlüssel aus der Hand von Dr. Rolf Schuster: Hier geht es zum aktuellen Schlüssel !


Roberto Bertolani (1982), Tardigradi. S.85-86.
[Achtung: Diese Monographie ist eine Art "Weißer Elefant" innerhalb der Bärtierchen-Monographien, weil sie sich speziell den - im Unterschied zu den Moostardigraden - sehr viel schwieriger zugänglichen Süßwassertardigraden widmet!]

Lucien Cuénot (1932), Tardigrades, S. 73-74.

Hieronim Dastych (1988), The Tardigrada of Poland. S. 144-146.
Monografie Fauny Polski 16.

Piotr Gąsiorek, Daniel Stec, Witold Morek & Łukas Michalczyk (2018): An integrative description of Hypsibius dujardini (Doyère, 1840), the nominal taxon for Hypsibioidea (Tardigrada: Eutardigrada), Zootaxa 4415 (1). pp. 45-75.

Hartmut Greven (1980), Die Bärtierchen.

Hartmut Greven (2018), From Johann August Ephraim Goeze to Ernst Marcus: A Ramble Through the History of Early Tardigrade Research (1773 until 1929).
In R. O. Schill (Ed.), Water Bears: The Biology of Tardigrades (pages 1-55). Springer, Cham.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach