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Lupen für Fortgeschrittene (XI)
Professionelle Brennweitenmessung für Amateure - Ergebnisbeispiele

Wir bleiben wie gewohnt im Kleinen - trotz diverser globaler Schräglagen, an denen wir mangels Wirkmächtigkeit leider partout nichts zu ändern vermögen.

Im Juli-Journal hatten wir die Theorie einer Methode zur Brennweitenmessung von einfachen Linsen, Mikroskopobjektiven und starken Lupen abgeleitet, im August das zugehörige praktische Vorgehen bei der Messung dargestellt.

Die Brennweite ist eine wichtige Basisgröße zur Beurteilung der Vergrößerungs-Wirkung (und somit auch des Einsatzbereichs) vieler optischer Komponenten. Umso mehr verwundert es, dass vormals anscheinend vorhandenes, einschlägiges Wissen [z.B. Feustel 1983] in neueren Museums- und Sammlungskatalogen praktisch nicht mehr zum Einsatz kommt.

Klar, man kann mit der von uns beschriebenen Methode beispielsweise auch etwas naseweis überprüfen, ob die auf historischen Geräten eingravierten Vergrößerungswerte zutreffen. Als erstes wollen wir in diesem Sinne zwei bärtierchentaugliche 10fach Lupen der Firmen Leitz und Zeiss betrachten:


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Abb. 1: Leitz 10fach Lupe in Wechselfassung (in Schiebehülse, einem "Lupenring")

Technische Anmerkungen zu Abb. 1: Es handelt sich um eine wahlweise mobil oder stationär (an einem Präpariermikroskop) einsetzbare Optik. Bildgebendes Element ist ein verkittetes, seitlich vorbildlich geschwärztes Dreilinsensystem (ein "Steinheil-Triplett") mit 14 mm Durchmesser. Der mehrfach verschraubte und nach oben hin praxisgerecht dunkel abgeblendete Optikkopf alleine wiegt 33,8 g. Die Schiebehülse ist von handwerklich sehr viel einfacherer Qualität, bringt zusätzlich 11,6 g auf die Waage. Als Brennweite haben wir 25,5 mm ermittelt, woraus sich nach der bekannten Formel eine Vergrößerungswirkung V = (250 mm / Brennweite) zu 9,8x ergibt. Datierung: wohl Anfang des 20. Jahrhunderts.
Nutzerbeurteilung: Als klassischer Dreilinser mit moderater Vergrößerung liefert die Leitz-Lupe ein farbreines, völlig klares und planes Blickfeld von etwa 15 mm Durchmesser. Dieses Sehfeld ist nach heutigem Empfinden vergleichsweise gering, einer starken Abblendung auf etwa 12 mm wirksame Öffnung geschuldet. Man vergleiche mit zwei modernen, von uns vor vier Jahren vorgestellten 10fach Einschlaglupen aus Fernost, deren Sehfeld einen Durchmesser von ca. 20 mm aufweist. Trotzdem handelt es sich bei der hier vorgestellten Leitz-Lupe zweifelsfrei um ein sehr solides Arbeitsinstrument - wenn auch mit einem Glamourfaktor von nullkommanull ;-). Die Vergrößerungsangabe trifft dementsprechend exakt zu, was bei einem Markengerät der alten Schule nicht ernsthaft zu verwundern vermag: Der Ernst der Angelegenheit ist ja bereits aus dem Firmennamen Ernst Leitz ersichtlich ...



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Abb. 2: Klassische kleine 10fach Einschlaglupe von Zeiss

Technische Anmerkungen zu Abb. 2: Als bildgebendes Element wirkt ein verkitteter Zweilinser (ein "Dublett") mit 13,6 mm Durchmesser, der durch einen sehr schlanken, fixierenden Gewindering noch zusätzlich um einen weiteren Millimeter abgeblendet wird. Gewicht 11,7 g.
Gemessene Vergrößerung: 9,9fach (!) - bravo, das passt exakt!
Datierungs-Anhaltspunkt: Zeiss Mikroskopie-Katalog Mikro 1 von 1939, S. 97.
Nutzerbeurteilung: Mit einer Gehäuselänge von nur 3,6 cm ist dieses Gerät uneingeschränkt handtaschentauglich und verfügt über ein nutzbares Sehfeld von ca. 15 mm. Der von einem vorbildlich geschwärzten Nietrohr beherrschte Ausklappmechanismus des Bakelitgehäuses funktioniert trotz seines hohen Alters nach wie vor mit optimaler Reibung, so dass die Lupe weder versehentlich aufklappt noch im Gehäuse klemmt. Die Bildqualität ist über jeden Zweifel erhaben. Es handelt sich um ein in Design und Funktion zeitlos perfektes Werkzeug. Angemerkt sei auch, dass sich ein Bakelitgehäuse bei einem winterlichen Ausflug sehr viel angenehmer anfühlt als ein Metallgehäuse. Man vergleiche hierzu unsere, ebenfalls bereits einige Jahre zurückliegende Vorstellung der legendären Steinheil 3x -Lupe.



An dieser Stelle könnte man, angesichts der hervorragenden Übereinstimmungen von Beschriftungspezifikation und Messwerten (wohlgemerkt allesamt innerhalb der anzunehmenden Messtoleranz) zu der Ansicht gelangen, dass derartige Brennweitenmessungen schlichtweg überflüssig seien!

Es gibt jedoch jede Menge historischer Lupen ohne jegliche Beschriftung, die wir gerne im Hinblick auf ihre Vergrößerungseigenschaften einordnen würden. Quasi: Maus oder Elefant? Hier wird es schon interessanter:


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Abb. 3: Alte Zweilinsen-Einschlaglupe - ohne Beschriftung - mit starker Vergrößerung

Technische Anmerkungen zu Abb. 3: Eine zweilinsige Einschlaglupe mit einer Zwischenblende von knapp 7 mm Durchmesser - aha, da wusste offensichtlich bereits in grauer Vorzeit ein kluger Kopf, dass bei höheren Vergrößerungen eine Verkleinerung des Blickfelds duch Abblendung nicht nur Sinn ergibt, sondern dringend erforderlich ist! Handwerklich solide Fassung der beiden Linsen mit Hilfe einer altehrwürdigen Verschraubung - Reminiszenz an eine Zeit, in der man die chronisch fluchtgefährdeten Linsen mit diversen althergebrachten Kunstgriffen zu packen versuchte, ganz einfach weil die später üblichen Gewinderinge nicht zur Verfügung standen. Griffschalen aus echtem Schildpatt, Abstandshalter des Gehäuses aus Messing, Nieten aus Eisen. Gesamtgewicht 13,8 g. Das Sehfeld fällt auch bei eingeschwenkter Blende mit ca. 5 mm sehr respektabel aus. Eine Altersbestimmung ist uns leider nicht gelungen, wir nehmen jedoch 100 Jahre oder mehr an.

Gemessene Vergrößerungswerte der Einzellinsen: 11,5x bzw. 12,9x.
Summenwirkung bei übereinandergeschlagenen Linsen: 21,8x.

Man beachte, dass die Vergrößerung der Linsenkombination, wie im Juli-Journal theoretisch erläutert, erwartungsgemäß markant kleiner ausfällt als die rechnerische Summe der Einzelvergrößerungen!
Die beiden Linsen unterscheiden sich in ihrer Vergrößerung übrigens nur geringfügig, jedoch messtechnisch reproduzierbar. Bei Betrachtung im normalen Licht erscheinen sie gleichartig, im UV fluoresziert die etwas schwächere Linse ausgeprägt grün, die stärkere hingegen nicht. Dies kann als Hinweis auf vorindustrielle Produktionsbedingungen gewertet werden.
Nutzerbeurteilung: Klar, dieses wunderschöne Instrument könnte in der Praxis durchaus hilfreich sein. Und die (nicht gemogelte!) Maximalvergrößerung von knapp 22x ist für eine freihändig zu benutzende Einschlaglupe recht beachtlich. Aber, diese Lupe ist natürlich zu kostbar und vor allem auch zu fragil für den rohen Einsatz in der unbarmherzigen Außenwelt!



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Abb. 4: Winzige antike Einschlaglupe mit hoher Vergrößerung - ohne Beschriftung

Technische Anmerkungen zu Abb. 4: Die optisch wirksame Komponente besteht aus einem sogenannten Coddington-System (einer einfachen Zylinderlinse mit "Bauch"-Einschnürung). Als Entstehungszeit wird bei diesem Lupentypus von [Giordano 2006, S. 51] die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts angenommen. Und in der Tat finden sich bis ins Detail übereinstimmende Abbildungen in deutlich vor 1850 publizierten Monographien. In Anbetracht des Alters, der hervorragenden handwerklichen Verarbeitung und der Korrosionscharakteristik gehen wir, trotz des Fehlens eines Stempels davon aus, dass das Gehäuse aus massivem Silber besteht. Gemessene Vergrößerung: 25,6x, und zwar echte 25! Gewicht 9,2 g.
Nutzerbeurteilung: Ein sehr schön verarbeitetes, elegantes Instrument mit hoher Vergrößerung - und womöglich ein Gadget für ausgemachte Snobs? Vielleicht, aber vielleicht auch einfach nur ein sehr spezielles Gerät für zitterfreie Zeitgenossen, die genau wissen, an welcher Stelle sie etwas wirklich Kleines ganz genau betrachten wollen? Wie angesichts der starken Vergrößerung und des Einlinsensystems zu erwarten, fällt das nutzbare Sehfeld mit ca. 2 mm bereits sehr, sehr klein aus. Man vergleiche dies mit den knapp 20 mm der "6LED" 10x Lupe in Abb. 6!



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Abb. 5: "Winkler&Wagner" Einschlaglupe (um 1913)

Technische Anmerkungen zu Abb. 5: Diese Lupe wurde von uns bereits in früheren Journalen ausgiebig vorgestellt und als Superlativ gepriesen. Hier ist ein winziges Steinheil-Triplett verbaut. Als Beschriftung findet sich lediglich eine eingepunzte "6", die man jedoch genausogut als "9" lesen könnte. Der von uns gemessene Vergrößerungswert harmoniert jedoch weder mit der ursprünglich angenommenen "6" (für 6 mm Brennweite) noch mit einer möglichen "9" (für 9 mm Brennweite).
Gemessene Vergrößerung: 33,8 fach (!). Dies ist die größte von uns bislang an einer freihändig zu nutzenden Lupe nachgewiesene und tatsächlich brauchbare Realvergrößerung.
Nutzbares Sehfeld: ca. 2 mm. Gewicht 13,5 g. Nachweisbar ist dieses Instrument im Katalog No. 9 (1913) des Wiener Entomologie-Fachgeschäfts Winkler&Wagner, das hier erklärtermaßen als Händler, nicht jedoch als Hersteller fungiert.
Nutzerbeurteilung: Trotz der extremen Vergrößerung ist dieses Gerät immer noch für einen Einsatz im Freien geeignet. Wir führen dies auf den besonders clever eingetieften, schwarzen Einblick und die objektseitig konisch verjüngte Linsenfassung zurück, welche genügend Licht ans Objekt heranlässt. In Anbetracht der Seltenheit würde man sich jedoch über einen Verlust während des schnöden Käferbeinzählens sicherlich dumm und dämlich ärgern!



Bemerkenswerterweise existieren aber auch beschriftete Lupen, bei denen die von uns gemessene Vergrößerung nicht so ganz mit der jeweiligen Herstellerbezeichnung übereinstimmt. Und das muss nicht immer gleich ein k.o.-Kriterium sein. Unsere Lieblingslupe zum Auffinden der Bärtierchen ist nach wie vor die "10x" 6 LED-Lupe aus Fernost, deren wohl nicht so ganz exakt zutreffende Vergrößerungsangabe durch das unglaublich hilfreiche LED-Licht mehr als aufgewogen wird:


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Abb. 6: 6 LED "10x" Einschlaglupe - verdammt gut!

Technische Anmerkungen zu Abb. 6: Es handelt sich um eine sehr bekannte und mittlerweile dementsprechend weit verbreitete 6 LED Triplett Einschlaglupe aus Fernost. Im Unterschied zu vielen, traurigerweise massiv falsch deklarierten Ebay-Angeboten liegt hier tatsächlich ein echtes Triplett aus drei miteinander verkitteten Linsen vor. Die im Vergleich zu einer einfachen Zylinderglaslupe merklich gesteigerte Abbildungsqualität hatte wir bereits in einem früheren Journal bildlich dokumentiert. Als Vergrößerung ermittelten wir einen Wert von knapp 9 - man sollte hier jedoch nicht zu streng urteilen, weil sich die Abweichung vom Sollwert in Grenzen hält und in der Praxis kaum eine Rolle spielt. Nutzbares Sehfeld knapp 20 mm. Gewicht 53,9 g.
Nutzerbeurteilung und Konsumentensicht: Diese vergleichsweise preiswerte Lupe liefert ein hervorragendes, farbreines und randscharfes Bild, bietet darüber hinaus ein schattenfreies LED-Ringlicht, das man bei der Konkurrenz vergebens sucht - mit Ausnahme derjenigen Produkte, bei denen ein westlicher Händler dem gleichen Fernostprodukt durch die Applikation seines ehrwürdigen Firmennamens eine abschließende "Veredelung" und preisliche Überhöhung zukommen ließ.
Wie bereits früher erläutert ist die 6 LED-Lupe wegen ihres charmanten LED-"Blauzahns" zum Auffinden von Echiniscen-"Tönnchen" in trockenen Moosproben hervorragend geeignet, ganz einfach weil das LED-Licht die Tönnchen blau erstrahlen lässt. Somit eine klare Bärtierchen-Empfehlung!



[ Lupe mit diffusem LED-Licht ]

Abb. 7: Trockenes Moospflänzchen, durch die 6 LED-Lupe im diffusen LED-Licht betrachtet. Die vielen blauen Punkte im Wurzelbereich sind allesamt eingetrocknete Echiniscen, nur ca. 50 µm lang und deshalb bei anderem Licht kaum mehr zu erkennen. Die blaue "Pfefferung" auf den Moospflänzchen ist jedoch sehr auffällig und charakteristisch.


Etwas nachdenklich stimmt allerdings die Tatsache, dass wir bei einem mit "30x" deklarierten 6 LED-Produkt sehr ähnlicher Machart (sozusagen einem Geschwisterchen) trotz heftiger Bemühungen keinen über 15x (!) hinausgehenden Vergrößerungswert verzeichnen konnten. Aber auch so manch andere Lupe angeblich heimischer Provenienz schmückt sich mit Vergrößerungen, die mit unseren Messungen partout nicht in Einklang zu bringen sind.

Fortsetzung folgt! Lasst Euch jedoch bitte einstweilen keine "30x"-Lupe mit einem Linsendurchmesser von mehr als 1 cm aufschwätzen (sogar 1 cm wäre noch zu viel!) und verderbt auch nicht all denjenigen die Freude, welche ihre vermeintlichen "30x"-Lupenschätzchen (mit beispielsweise 36 mm Linsendurchmesser!) voller Stolz auf YouTube und andernorts präsentieren!



Literatur

Raymond V. Giordano: Singular Beauty: Simple Microscopes from the Giordano Collection. Cambridge, MA. 2006.

Hanns Feustel (Hrsg.): Historische Mikroskope des Physikalischen Kabinetts im hessischen Landesmuseum Darmstadt. Darmstadt 1983. [Anmerkung: In diesem Katalog werden - wenn auch ohne Beschreibung der eingesetzten Messmethoden - für praktisch alle gezeigten historischen Mikroskope Vergrößerungswerte genannt]



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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach