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Unsere Taxonomie-Serie - in Kooperation mit Dr. Rolf Schuster**
Folge #13: Dactylobiotus dispar

Dactylobiotus dispar wurde hier im Journal bereits vor 20 Jahren präsentiert, und zwar in der Zeit von November 2004 bis Januar 2005, als Kleinserie mit dem blumigen Titel "Ein Liebhaber von Seerosen".


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Abb. 1: Dactylobiotus dispar im Portrait. Es handelt sich um eine ca. 20 Jahre alte Aufnahme, alles andere als technisch perfekt. Wir wählten sie trotzdem aus, weil sie den von relativ großen Krallen dominierten mikroskopischen Bildeindruck der Art sehr schön veranschaulicht. Das hier abgebildete Exemplar ist ca. 300 µm lang. Die in der Fachliteratur erwähnten, gelegentlich riesigen Exemplare - bis hin zu 1 mm - konnten wir allerdings bislang nicht finden.
Ein zweiter Grund für die Auswahl genau dieses Bildes besteht in Cuénots Beschreibung der Körperfarbe als leicht grau bis rauchig [im französischen Originaltext: "une legère teinte grise ou enfumée"]. Dieser Farbeindruck könnte allerdings von böswilligen Skeptikern auch durch dampfbeschlagene Optiken in winzigen Arbeitsräumen erklärt werden ;-)

Dactylobiotus dispar findet sich in stehendem Süßwasser, häufig zusammen mit Seerosen. Abb. 2 zeigt einen typischen Fundort am Kanal von Herrenchiemsee. Die Bärtierchen leben gerne an der Unterseite der dortigen Seerosen und auch im schattigen Schlamm unter den Seerosen.


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Abb. 2: Typisches Lebensumfeld von Dactylobiotus dispar - Seerosen im Schloss-Kanal von Herrenchiemsee. Das in Abb. 3 gezeigte Exemplar wurde exakt hier, quasi in Schneckennachbarschaft gefunden.


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Abb. 3: Vorderleib von Dactylobiotus dispar mit ovalem Schlundkopf. Die frontalen Makroplakoide sind etwa doppelt so lang wie die hinteren und erscheinen mittig leicht eingeschnürt. Ein Mikroplakoid ist vorhanden, jedoch relativ klein und unauffällig, deshalb - wie auch hier im Bild - nur schwach erkennbar und konsequenterweise in der Fachliteratur teils als nicht vorhanden gebrandmarkt.

Die Krallen von Dactylobiotus dispar erscheinen als riesig, dominieren deshalb den Bildeindruck sehr viel stärker als bei anderen Arten. Cuénot nennt Krallenastlängen von bis zu 30 µm! Die in Abb. 4 und 5 sichtbare, leicht gekrümmte Kutikularleiste gilt als sehr sicheres Bestimmungsmerkmal für das Vorliegen von Dactylobiotus dispar.


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Abb. 4: Die Krallen am letzten Beinpaar von Dactylobiotus dispar. Man beachte die kurz-gedrungenen Krallenbasen und deren Verbindung durch eine Kutikularleiste!

Lucien Cuénot ist uns - wie bereits gewohnt - mit seiner Zeichnung wieder mal um eine Nasenlänge voraus:


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Abb. 5: Die Krallen am letzten Beinpaar von Dactylobiotus dispar in der Zeichnung von Lucien Cuénot [Cuénot 1932] . Die taxonomisch wichtige Kutikularleiste ist hier mit einem "b" gekennzeichnet.

Auch das bereits 2004 von uns bestätigte Pickerl und die Eier möchten wir den geschätzten Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten:


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Abb. 6: Schnee von gestern - das als taxonomisch wichtig erachtete, dorsale Pickerl auf Höhe zwischen dem dritten und vierten Beinpaar.

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Abb. 7: Last but not least - die normalerweise frei abgelegten Eier von Dactylobiotus dispar weisen sehr charakteristische Ei-Ausschüsse auf, erlauben deshalb eine zusätzliche Absicherung der Artzuordnung. Der Ei-Durchmesser scheint, ähnlich wie die Körperlänge, individuell unterschiedlich zu sein: In der Literatur werden Gesamtdurchmesser zwischen etwa 50 und über 90 µm genannt.


Etymologie, "alias"-Namen und eine komplizierte Verwandtschaft

Leider konnten wir in der Literatur keine Erklärung des Artnamens Dactylobiotus dispar finden, müssen deshalb hier mit einer Vermutung aufwarten: Der Genusname enthält offensichtlich den Wortstamm "Dactylus", der sich in der Biologie auf das Endglied eines Fingers oder Beins bezieht. "Dispar" steht im Lateinischen für "ungleich". Der Artname könnte demnach auf die sehr unterschiedliche Ausprägung - vor allem unterschiedliche Länge - der Krallenäste des letzten Beinpaars abzielen.

Der Artname mäanderte zwischen Macrobiotus macronyx [Dujardin 1851], Macrobiotus dispar [Murray 1907] und der anscheinend heute einzig anerkannten Bezeichnung Dactylobiotus dispar [Schuster et al. 1980].

In der Frühzeit der Tardigradenforschung scheint Dactylobiotus dispar obendrein mit einer zweiten, häufig vorkommenden Süßwasserart, nämlich Hypsibius dujardini verwechselt oder gleichgesetzt worden zu sein. Die Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten in den Artbeschreibungen und Zuordnungen dürften nicht zuletzt durch den erhöhten Zeitaufwand beim gezielten Suchen und Finden von Süßwasserspezies zu erklären sein: Moosproben sind vergleichsweise einfach zu verwalten, während die mit anderen Mitteln geborgenen und zahlenmäßig in den Proben weniger präsenten Süßwasser-Individuen Gefahr laufen, von den notgedrungen eiligen Forschern vernachlässigt zu werden.



Anmerkungen und Literatur

(*) Der Bärtierchenspezialist, Partner und Co-Autor dieser Taxonomie-Serie, Dr. Rolf Schuster, berät Sie gerne bei tiefer schürfenden taxonomischen Fragestellungen und bei der Bestimmung der von Ihnen gefundenen Bärtierchen. Schreiben Sie einfach eine Mail an Rolf Schuster !

(*) Ab sofort gibt es einen, quasi mitwachsenden Bärtierchen-Bestimmungsschlüssel aus der Hand von Dr. Rolf Schuster: Hier geht es zum aktuellen Schlüssel !


Lucien Cuénot (1932), Tardigrades, S. 69-70.

Hieronim Dastych (1988), The Tardigrada of Poland. S. 64-65.
Monografie Fauny Polski 16.

Hartmut Greven (1980), Die Bärtierchen.

Hartmut Greven (2018), From Johann August Ephraim Goeze to Ernst Marcus: A Ramble Through the History of Early Tardigrade Research (1773 until 1929).
In R. O. Schill (Ed.), Water Bears: The Biology of Tardigrades (pages 1-55). Springer, Cham.

Walter Maucci (1986), Tardigrada. S. 231-233.

R. O. Schuster et al. (1980), Systematic criteria of the Eutardigrada, Transactions of the American Microscopical Society, Band 99 (1980) S. 284-303.


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© Text, Fotos und Filme von  Martin Mach