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Leben im Meeressand (I)

Wir haben bereits gesehen, daß unser Bärtierchen Batillipes mirus zwischen Sandkörnern lebt. Dieses so genannte "Sandlückensystem" ist nicht gerade ein einfacher Lebensraum. Es erfordert vor allem eine speziell angepaßte Bewegungsstrategie, die ein Überleben im Sandkornlabyrinth erlaubt.

Zunächst einmal heißt es: Vorwärtskommen, auch durch Engstellen.
Kleinheit, d. h. Kleinheit im Vergleich zum durchschnittlichen Sandkorn, ist eine günstige Eigenschaft. Bei der eigentlichen Bewegung selbst hilft vor allem eine möglichst geringe Körperquerschnittsfläche, wie sie der kleine Wurm im Video unten hat.

Und dann sollte man, wie "Q", Cheftechniker im Dienste von James Bond, es einmal formulierte, auch immer einen "Plan B" haben. Beste Voraussetzung für den alternativen Plan B ist ein Rückwärtsgang. Das Würmchen unten testet praktisch von einer festen Basis A (dem Körperende) aus verschiedene Punkte B und kehrt bei Mißerfolgen immer wieder schnell zur Basis zurück, bevor es dann definitiv mit dem ganzen Körper eine neue Richtung einschlägt. Wendigkeit, Geschmeidigkeit, Geschwindigkeit und Gewebeelastizität tragen ebenfalls zum Erfolg bei.

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Die Strategie von  Batillipes mirus  weist Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Daß gerade die Bärtierchen sich durch die oben erwähnte Kleinheit auszeichnen, wissen alle unsere Leserinnen und Leser. Auch daß Batillipes, im Gegensatz zu allen terrestrischen Tardigraden einen Rückwärtsgang hat, haben wir schon im  Video  gesehen.

Es gibt jedoch auch deutliche Unterschiede zum gezeigten Würmchen: Während der Wurm keine Gliedmaßen hat, muß Batillipes acht geben, daß keine seiner 48 (!) Zehen unter einem der - vergleichsweise felsengroßen - Sandkörner zerdrückt wird. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß sehr kleine Tiere in vielfacher Hinsicht von der Physik begünstigt sind: Sie fallen leichter und sie haben weniger Probleme beim Zusammenstoß mit Objekten, die größer sind als sie selbst.
Es macht deshalb in der Regel nichts, wenn so ein elastisches Bärtierchen-Füßchen mal kurz unter ein Sandkorn gerät. Und gegen Strömungsverdriftung im Lückensystem helfen die 48 Zehen natürlich hervorragend.

Anders als das Würmchen, welches zwischen den Sandkörnchen hindurchgleitet und die Wände meidet, sucht unser Bärtierchen regelrecht den Kontakt zum Sand. Nach Beobachtungen von Ernst Marcus geht diese Liebe so weit, daß Bärtierchen außerhalb vom Sand gelegentlich zum Gruppenselbstmord neigen (was wir allerdings selbst nie beobachten konnten).
Das Anschmiegen an die Sandkörner ist jedoch offensichtlich:


[ Batillipes mirus auf Sandkorn ]

Batillipes auf Sandkorn - kein Hohlraum zwischen Bauch und Untergrund


In der Draufsicht erscheint Batillipes ohnehin häufig nur als auf die Sandkornfläche hingehauchter Schatten, der sich lediglich durch seinen Mageninhalt verrät:


[ Batillipes mirus auf Sandkorn ]

Batillipes mirus auf großem Sandkorn. In der Bildmitte das symmetrisch geriffelte Glasgehäuse einer Meeresdiatomee.


[ Batillipes mirus auf Sandkorn ]

Batillipes mirus auf Sandkorn


Seitliche Lappen am Körper von Batillipes schließen sich wie ein Mantel über dem Sandkorn, so daß keine Strömung der Welt die innige Verbindung zwischen Sandkorn und Batillipes auflösen kann. Die Lappen lassen sich am einfachsten in der Seitenansicht ohne Sandkorn erkennen:


[ Batillipes mirus auf Sandkorn ]

Batillipes - seitliche Strömungslappen


Warum der Sand so wunderbar liebenswert ist? Dieser Frage werden wir im nächsten Journal nachgehen.



Literatur

E. Marcus: Zur Anatomie und Ökologie mariner Tardigraden.
Zool. Jahrb. 53 (1927) S. 522 [Der Gruppenselbstmord!].


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© Text und Film von  Martin Mach