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Nachdem wir die Außerirdischen-Debatte der Juli-Ausgabe vorläufig ad acta gelegt haben, kommen wir diesmal zu einem weniger umstrittenen Thema: Atmung und Kreislauf der Bärtierchen.
Werfen Sie bitte zunächst einen Blick auf das aktuelle Zitat des Monats , aus dem wir entnehmen können, daß Bärtierchen nach heutiger wissenschaftlicher Auffassung keine Atem- und Kreislauforgane haben.

Die einfachste Unterteilung des Stammes der Bärtierchen trennt die Bärtierchenarten in die zwei großen Gattungen Heterotardigraden (gepanzert, mit Körperanhängen) und Eutardigraden (ungepanzert, ohne Körperanhänge). Bei den meisten in den früheren Ausgaben gezeigten Abbildungen wurde die Schärfeebene des Mikroskopes in den Bereich der Bärtierchenaugen gelegt. Man kann jedoch auch auf den Rücken scharfstellen und erhält dann bei den Heterotardigraden ein Bild wie folgt:


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Rücken eines lebenden Heterotardigraden (Echniscus sp.) mit gekörnten, gegeneinander verschiebbaren Panzerplatten und Dornen. Bildbreite ca. 250 µm.


Natürlich stellt sich die Frage, wie der diesem Panzer innewohnende und durchaus lebendige Organismus mit Sauerstoff versorgt wird. Man geht davon aus, daß mangels Herz, Blut, Lunge usw. als einzige Lösung eine  Atmung durch Sauerstoffdiffusion  in Frage kommt: Mit anderen Worten, die Tiere sind so klein, daß der Sauerstoff trotz Panzerung immer noch problemlos in das Körperinnere eindringen kann! Bei größeren Lebewesen mit entsprechend größerem Körpervolumen wären die Versorgungswege zu lang. Deshalb muß der Sauerstoff bei den Großen durch spezielle Vorrichtungen wie Tracheen, Kiemen, Lungen usw. transportiert werden. Nur dann steht er in ausreichender Menge und genügend schnell zur Verfügung. Wie wir sehen, haben die Bärtierchen auch in dieser Situation durch ihre geradezu irrwitzige Miniaturisierung die Nase vorn und können trotz vergleichbarer Leistungsfähigkeit auf komplizierende Einrichtungen größerer Lebewesen verzichten.

Andererseits bewegen sich manche Eutardigraden-Bärtierchen, vor allem Milnesium tardigradum, sehr flink, d.h. es wird bei diesen Tieren deutlich mehr Sauerstoff verbraucht, als durch einfache Diffusion zur Verfügung gestellt werden könnte. Was tun wir Menschen, wenn wir z.B. Milch, Zucker und Kaffee flott vermischen wollen? Richtig, wir warten nicht auf die verhältnismäßig langsame Diffusion, sondern rühren einfach ein wenig um. Dann geht alles deutlich schneller. Nach all den Merkwürdigkeiten der Wasserbären, die wir bereits kennengelernt haben, wundern wir uns nicht, daß auch  Milnesium tardigradum   diesen Trick beherrscht: Es rührt sich sozusagen selbst um! Auf diese Weise werden alle erforderlichen Stoffwechselvorgänge beschleunigt. Wie der Kurzfilm unten zeigt, ist bei Milnesium die Körperflüssigkeit der Leibeshöhle ständig in Bewegung. Die Speicherzellen mit den lebensnotwendigen Vorratsstoffen flottieren frei und zeigen durch ihre schnelle Bewegung an, daß im Körperinneren einiges an Dynamik geboten ist:


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Eutardigraden-Bärtierchen Milnesium tardigradum.
Länge ca. 500 µm. Dunkelfeld.
Das Körperinnere mit den kugeligen, weißen Speicherzellen zwischen Verdauungstrakt und Außenhaut ist dünnflüssig und wird durch die Bewegung ständig umgewälzt. Der enorme Flüssigkeitsdruck ist besonders an der im Bild unteren Körperhälfte zu sehen.


Die schnelle Umwälzung bietet alle Vorteile eines Kreislaufs im strengen Sinne, ohne jedoch entsprechende Gefäße und Pumpeinrichtungen zu benötigen. Die Körperhöhle übernimmt hierbei die Rolle der Transportleitung, statt eines Herzens fungiert die Körperbewegung als Umwälzpumpe. Im Film ist gut zu erkennen, daß ein erheblicher Druck aufgebaut und viel Volumen transportiert wird. Natürlich ist die resultierende Bewegung nicht gerichtet, so daß ein Kreislauf im strengen Sinne nicht vorliegt. Andererseits erfüllt das gezeigte System alle lebensnotwendigen Anforderungen und hat im Endeffekt die gleiche Wirkung wie der Kreislauf bei größeren Lebewesen.
Bärtierchen-Spezialisten, wie z.B. Hartmut Greven, sehen noch weitere Analogien zwischem einem Blutkreislauf und der Leibeshöhlenflüssigkeit der Bärtierchen. Sie vermuten z.B., daß den Speicherzellen auch eine Abwehrfunktion, ähnlich wie bei den weißen Blutkörperchen, zukommt.


Literatur

Hartmut Greven: Die Bärtierchen. S. 21. Wittenberg 1980.



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© Text und Mikrofotos von  Martin Mach